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Rezensionen juristischer Literatur

Corona – Krise und Verfassungsstaat II

Kersten/Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, 2. Aufl. 2022, C.H.Beck

Eine Rezension zu:

Abbildung von Kersten / Rixen | Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise | 3. Auflage | 2022 | beck-shop.de

Jens Kersten / Stephan Rixen

Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise

Einzeldarstellung

3. Auflage

München: C.H.Beck, Buch, Gebunden, 2022, 507 S, 34,95 Euro inkl. MwSt.

ISBN 978-3-406-79384-4

www.beck-shop.de

Die Corona – Gesetzgebung wirft auf der Metaebene des Verfassungsrechts grundlegende Fragen auf, da es sich um sehr weitreichende Grundrechtseingriffe handelt, insbesondere im Bereich des Ordnungs- und Sicherheitsrechtes in einem weiten Sinn verstanden, unter Einschluss der Maßnahmen der Infektionsabwehr. Die Debatte ist derzeit sehr in Bewegung. Als Beispiele mögen eine Zwangsqurantäne oder eine grundsätzlich mögliche Zwangsimpfung genügen. Die Verunsicherung ist so groß, das kaum politisierte Bürger sogar bereit sind, mit Organisationen zu demonstrieren, die einem neonazistischen Politikverständnis durchaus nahestehen. In diesen Strudel eines fatalen „Anything goes“ geraten dann auch die Eingriffsrechte der Polizeibehörden, untermalt von Fake-News und Nachplapperbürgern, die fast jede mögliche Information „teilen“, so abstrus sie auch sein mag. Die Entwicklung bewegt sich inzwischen am Rand eines drohenden Ausnahmezustandes, wobei die Entwicklungen in manchen anderen Ländern deutlich angespannter ist als in Deutschland. Indessen hat der Verfassungsstaat gehalten und ist weitgehend intakt geblieben.

Jedenfalls ist durch die Covid-19-Pandemie das öffentliche und kulturelle Leben in Deutschland durch massive Grundrechtseingriffe radikal eingeschränkt worden, was bei vielen zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen führt. Grundrechte kann man verfassungsgemäß einschränken und diese Einschränkungen wieder aufheben, aber man kann sie nicht „zurückgeben“. Nichts ist mehr wie es vorher war und die Situation ist – unter anderen politischen und rechtlichen Voraussetzungen der Situation der „Spanischen Grippe“ (die seinerzeit in New York ausgebrochen ist) in bestimmten Mustern vergleichbar. Diese Situation wirft eine Reihe fundamentaler Fragen auf, die eine erhebliche verfassungsrechtliche Relevanz aufweisen, insbesondere im Bereich der Grundrechte, um einige zu nennen:

-Wie weit lassen sich Eingriffe in Freiheit und Gleichheit rechtfertigen?
– Verschiebt sich die Macht zwischen Parlament und Exekutive?
– Versagt der Föderalismus?
– Bewährt sich der Sozialstaat?
– Ist Solidarität jenseits des Nationalstaats eine Illusion?

Die Verschränkung zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht erreicht derzeit nahezu alle rechtlichen Bereiche und löst kontroverse Diskussionen aus, insbesondere hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen. Die kritischen Kontroversen überschreiten die Parteizugehörigkeit und betreffen auch das Parteienrecht.

Dieser klug geschriebene Band bietet Analysen und Lösungsvorschläge, um die Debatte zum einen wieder in geordnete Bahnen zu lenken, diese Debatte zu entemotionalisieren und rationaler zu machen. Mit der dritten Auflage hat sich die Seitenzahl erneut erweitert, da diese brisante Materie sich brisant weiter entwickelt hat und von Verfassungsrechtlern begleitet werden muss. Wie die Verfasser im Vorwort treffend feststellen, läßt sich ein arbeitender Staat feststellen, aber kein Ausnahmezustand (angenähert an die Definition von Carl Schmitt in seiner „Politischen Theologie“). Dies schließt rechtliche Fehler in teilweise widerspruchsvollen, schnell gefertigten und schnell wieder geänderten Rechtsverordnungen und Gesetzen nicht aus. Die Situation ist auch rechtlich durchaus ambivalent. Die Neuauflage geht aber intensiv auf rechtliche Fehlkonstruktionen ein, die etwa das BVerwG inzwischen konstatiert hat. Die rechtliche Beurteilung ist aber nach wie vor von vielen Ambivalenzen gekennzeichnet, selbst wenn man die Auffassungen der Autoren in mancher Hinsicht nicht teilt.

Die dritte Auflage bietet eine kompakte Analyse aller wesentlichen verfassungs-, verwaltungs-, europa- und internationalrechtlichen Aspekte des staatlichen Handelns in der Corona-Kriseauf der Basis einer Mainstream – Sicht. Es veranschaulicht die Herausforderungen der Staatsstruktur­prinzipien der Demokratie sowie des Rechts-, Bundes- und Sozialstaats in der Krisenbewältigung. Nicht zuletzt zeigt es verfassungskonforme Wege aus der Krise und skizziert erforderliche Reformen.

Dabei geht es im Kern darum einen Ausgleich herzustellen zwischen Freiheit, Sicherheit und Solidarität, wobei es keine nationalstaatliche Lösung für sich geben kann, da die Pandemie auf der einen Seite die größte Zuspitzung der „Risikogesellschaft“ darstellt und den „Vorsorgestaat“ herausfordert. Die Unverzichtbarkeit eines umfassenden Sozialstaates wird kaum mehr in Frage gestellt.

Die Studie wirft einen besonderen Blick auf die Sozialstaatsbedürftigkeit der aktuellen Situationen, die noch Monate anhalten kann, trotz der erfreulichen aktuellen Entwicklungen.

Das Buch besteht aus elf Kapiteln, einsetzend mit dem biologisch vorgebenenen Weg in die Krise und dem Eintritt eines Krisenmodus zwischen Ausnahmezustand, Notstandsverfassung und der infektionsrechtlichen Generalklausel, die vorher kaum allgemein bekannt war. Die §§ 28 und 28 a und 32 und § 32 a IfSG eröffnen sehr weitreichende Handlungsspielräume im Krisen, in einem komplexen Zusammenspiel mit landesrechtlichen und kommunalrechtlichen Normen des Ordnungsrechtes (gern inzwischen auch als Sicherheitsrecht bezeichnet). Zu Recht wird darüber gestritten, ob die Novellierung dieses Gesetzes vom 27.03.2020 gelungen ist. Viele Rechtsnormen wurden binnen weniger Tage entworfen und verabschiedet, so dass es auf der Hand liegt, dass insoweit verfassungsrechtlicher Diskussionsbedarf besteht. Diese Entwicklungen werden vertieft nachgezeichnet.

Jedenfalls enthält dieses Gesetz Ansätze für ein spezielles Notstandsregime, dass in einem weiteren Kapitel unter dem Aspekt der Grundrechtsrelevanz hinterfragt wird. Im Kern geht es dabei um Erforderlichkeit und Angemessenheit, die zwar auch in der Breite – etwa im Rahmen einer Analyse der Konzeption der „Daseinsvorsorge“ von E. Forsthoff –  hinterfragt werden, jedoch wird es bei der Beurteilung von „Impfpflicht und Immunitätsnachweis“ sehr konkret. Hier prallen diverse ideologische Aufassungen aufeinander, aber wer kein Impfskeptiker ist, kann durchaus auf der Basis rationaler Argumente zu einem Impfpflichtskeptiker werden, da die Forschungslage derzeit für einen Nichtvirologen unübersichtlich ist und Grundfragen des Verfassungsrechts in einem demokratischen Rechtsstaat aufwirft, die hier thematisiert werden. Die wirklichen Grundfragen die sich hier stellen, bestehen im Bereich der pharmakologischen Sicherheit der Impfstoffe.

In den weiteren Kapiteln werden parlamentsrechtliche Fragestellungen ebenso aufgeworfen wie Aspekte des richtigen Regierungshandelns, etwa bei einem „Durchregieren“. Das vorletzte Kapitel wirft den Blick auf den eigentlichen Hauptakteur in dieser Krise: die Europäische Union, die durch die Krise selbst in eine weitere Krise geraten ist und sich einer Rückbesinnung auf die Nationalstaatlichkeit ausgesetzt ist, die zu unübersichtlichen Situationen geführt hat. Geschlossene Grenzen gehören nicht zu den Standards der Konzeption der EU. Skizziert werden aber auch Wege aus der Krise jenseits des bislang ausgebliebenen Ausnahmezustandes auf der Basis der Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates.

Das Werk bietet in aller Kürze einen gelungenen Überblick über die wesentlichen Grundfragen von „Covid19 und Verfassungsrecht“ .

Zu den Autoren
Univ.-Prof. Dr. Jens Kersten ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Univ.-Prof. Dr. Stephan Rixen ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, ­Sozialwirtschafts- und Gesundheitsrecht an der Universität Bayreuth.

 

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