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Rezensionen juristischer Literatur

Großkommentar zum BetrVG

Däubler/Klebe/Wedde (Hrsg.), BetrVG, 17. Aufl., 2020, Bund-Verlag

Eine Rezension zu:

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Wolfgang Däubler/Thomas Klebe/Peter Wedde (Hrsg.)

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz mit aktueller Wahlordnung und EBR – Gesetz

Kommentar für die Praxis

17. Auflage

Frankfurt/Main: Bund-Verlag, 2020, 3069 S., 99,00 Euro inkl. MwSt

auch als digitale Ausgabe

 ISBN 978-3-7663-6952-9

www.bund-verlag.de

Die Printfassung des Kommentars erscheint – wie seit 12 Jahren üblich – zwei Jahre nach der Vorauflage und hat den Stand von November 2019, die digitale Fassung wird fortlaufend aktualisiert. Die Kommentatoren hatten erneut zahlreiche neue Entwicklungen einzuarbeiten, ungeachtet der anhaltenden Dynamik der Rechtsprechung. Ohnehin werden aktuelle Entwicklungstendenzen in den Betrieben in dieser Kommentierung sehr früh aufgegriffen.

Der Standard-Kommentar für Betriebsräte, Berater, Gerichtsbarkeit und Wissenschaft dokumentiert im Rahmen einer sehr detaillierten und praxisnahen Darstellung die gesamte Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht. Für Konfliktfälle, die noch nicht richterlich entschieden sind, entwickeln die Autoren interessante Lösungsmodelle. Gesetzesentwicklungen, Literatur und Rechtsprechung sind bis einschließlich Oktober 2019 in die Printausgabe eingearbeitet.

Vertieft sind in der neuen, 17. Auflage insbesondere die Ausführungen zu den Themen:

  • Datenschutz im Betriebsratsbüro und Stellung des Betriebsrats in der »digitalisierten« Welt
  • Folgen des neuen Datenschutzrechts für die Mitbestimmung (Informationsrechte, Arbeitsschutz, Arbeitszeit, mobile Arbeit, Kontrolle durch den Arbeitgeber)
  • Betriebsratsrechte bei Anwendungen künstlicher Intelligenz
  • Neues bei Matrix-Organisationen
  • Crowdwork und andere neue Arbeitsformen
  • EuGH-Rechtsprechung zur Arbeitszeiterfassung
  • Rechte des Betriebsrats bei Verschmelzungen und Spaltungen von Unternehmen
  • Auswirkungen neuer Technologien auf Interessenausgleich und Sozialplan
  • Neues Gesetz zu Geschäftsgeheimnissen
  • Whistleblower – Richtlinie der EU.

Die Neuauflage berücksichtigt erneut Themen wie Entwicklung der Arbeitszeitsmodelle und mobile Arbeit, das brisante Thema “Leiharbeit”, aktuelle Fragen der betrieblichen Mitbestimmung, Auswirkungen des Crowdsourcing auf die betriebliche Mitbestimmung, Umgang mit Social Networks, Integrationsvereinbarungen, brisante Entwicklungen im Bereich des Betriebsüberganges und etliches mehr. Auch das Thema betrieblicher Datenschutz wird jetzt noch intensiver erörtert. Die Digital-Ausgabe wird sich sicherlich in Kürze zum Thema „Corona und Mitbestimmung“ äußern. Ein Schwerpunkt Neuauflage liegt auf den Veränderungen, die die Digitalisierung hinsichtlich der betrieblichen Mitbestimmung mit sich bringt, insbesondere hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Probleme, aber auch hinsichtlich der Optionen für die betriebliche Mitbestimmung bei der Gestaltung dieses Prozesses, der unumkehrbar ist.

Erneut und angesichts der aktuellen unternehmensrechtlichen wenig verwunderlich, liegt ein Schwerpunkt bei Umstrukturierung von Unternehmen und deren betriebsverfassungsrechtlichen Folgen. Der Kommentar erfasst das deutsche Betriebsverfassungsrecht umfassend und stellt sich immer wieder gerade auch den aktuellen Streitfragen. Dieses Thema wird angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise in der Onlinefassung noch akzentuierter aufgegriffen werden. Die Entwicklung zeigt aber auch die Verschränkung zwischen Print und Onlineausgabe und der Notwendigkeit digitaler Fassungen der entsprechenden Werke, die der Verlag zeit Jahren aktiv voran treibt.

Eine weit ausgreifende, auch die Historie behandelnde Einleitung gibt eine ausführliche und sehr strukturierte Einführung in das Recht der deutschen Betriebsverfassung, wobei allerdings nicht nur die Strukturprinzipien und Rechtsschutzmöglichkeiten dargestellt werden, sondern auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden, so der Einfluss der Internationalisierung der Wirtschaft unter Einbeziehung der Probleme der Betriebsverfassung bei ausländischer Unternehmens- oder Konzernspitze, wobei hier auch IPR – Gesichtspunkte berücksichtigt werden, so die selbständige Anknüpfung der Betriebsverfassung jenseits des Arbeitsvertragsstatutes. Dies hat insbesondere Bedeutung für die Auskunftsrechte des Betriebsrates, die an den Grenzen nicht halt machen und zum “Informationsdurchgriff” führen unter Kontaktaufnahme mit ausländischen Interessenvertretungen können.

Betriebsräte sind bei aller Verbreitung der Institution des Betriebsrats keine Selbstverständlichkeit. Die Errichtung stößt oftmals auf Widerstände, gerade durch Outsourcing im “GmbH-Konzern”, die aber durchaus einen Gemeinschaftsbetrieb aufweisen können. Diese Probleme werden hier sehr eingehend unter eingehender Analyse der Rechtsprechung behandelt und wurde weiter vertieft. Insbesondere in der Kommentierung zu § 5 BetrVG werden die Einflüsse der “Sozialgesetzgebung” berücksichtigt, so bei den arbeitnehmerähnlichen Personen, der sich ausweitenden freien Mitarbeit unter Einschluss der – sich jetzt erheblich wandelnden – “Werkverträge bis hinzu den „Solo – Selbständigen“. Der Bereich der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen und der Scheinselbständigen des Sozialversicherungsrechts bereiten derzeit arbeits – und sozialversicherungsrechtlich erhebliche Probleme, so dass die Kommentierung den Bezügen zum Betriebsverfassungsrecht intensiv nachspürt. In diesem Zusammenhang wird auch intensiv auf die Rechtsstellung der Franchisenehmer eingegangen, bei denen die neuere Rechtsprechung die Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und Arbeitnehmereigenschaft oftmals danach vornimmt, ob eigene Arbeitnehmer beim Franchisenehmer beschäftigt sind.

Die Kommentierung des zweiten Teils des BetrVG enthält eine nahe minutiöse Analyse der Rechtsprechung und Literatur zur Konstituierung und Wahl des Betriebsrats, wobei ein deutlicher Schwerpunkt bei den Regelungen zum Gesamt- und Konzernbetriebsrat gesetzt wird. Die letztgenannte Kommentierung führt den Leser tief in das Aktienkonzernrecht, dessen Skizze die Vorbemerkungen zu § 54 BetrVG gelten und dessen betriebsverfassungsrechtliche Struktur auf der Gesamtbetriebsratsverfassung aufbaut, von deren Existenz sie abhängig ist. Die Vorbemerkungen zu § 54 BetrVG enthalten darüber hinaus profunde Darlegungen zur Bedeutung von Konzernen und zum Konzernarbeitsrecht. Es ist ein Anliegen dieser Kommentierung Verbindungslinien zu benachbarten Rechtsbereichen nicht nur zu ziehen, sondern diese “Schnittstellen” aus sich heraus begreifbar zu machen. Vertieft wurden die Ausführungen zur Whistle-Blower-Thematik angesichts der neueren, europarechtlichen Rechtsentwicklungen.

Alle Kommentierungen des BetrVG legen einen deutlichen Schwerpunkt auf die Erläuterungen der §§ 74 ff BetrVG, die das Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer regeln. Besonders § 75 BetrVG entfaltet hier hinsichtlich des normativen Maßstabs prägende Bedeutung. Die Kommentierung berücksichtigt dabei auch schon die noch nicht in nationales Recht überführten, aber bereits aufgrund nicht fristgerechter Umsetzung gegenüber dem Staat unmittelbar anwendbaren und in der Betriebsverfassung mittelbar wirkenden Antidiskriminierungsrichtlinien der EU. Den aktuellen Stand der Kontroversen auch um tarifliche Öffnungsklauseln spiegelt die Kommentierung des § 77 BetrVG wieder, die allerdings von einem engen Verständnis des § 77 III 2 BetrVG ausgeht und versucht eine Parallele zum Problem der staatsrechtlichen Verordnungsermächtigung zu ziehen. Äußerst lesenswert ist nach die vor die Kommentierung zu § 87 BetrVG, die nunmehr eine eingehende Aufarbeitung der Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrates bei der Einführung neuer Technologien enthält, ohne das ein umfassendes Mitbestimmungsrecht hier besteht. Gesetzlich erfasst werden nur Teilaspekte, wie etwa bei der Einführung technischer Überwachungseinrichtungen. Die Kommentierung geht hier eingehend auf das Spannungsverhältnis der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer, der Mitbestimmungsrechte der betrieblichen Interessenvertretung und ihres etwaigen Initiativrechts sowie auf die schützenswerten Belange der Arbeitgeber ein, die stets zu einer Abwägungsentscheidung führen. In diesem Zusammenhang werden auch datenschutzrechtliche Aspekte aufgearbeitet. Die wesentlichen Einzelfälle sind hier übersichtlich zusammengefasst.

Die derzeit wohl brisantesten Ausführungen gelten den §§ 111 ff BetrVG. Die Kommentierung trägt den aktuellen Problemlagen eingehend Rechnung. Es existiert hier keine volle Mitbestimmung, da es sich um grundlegende unternehmerische Entscheidungen handelt, in die überdies die Internationalisierung der Wirtschaft stark hineinspielt. Angesichts dieser Restriktionen wird denn auch deutlich auf die beschränkten Möglichkeiten der betrieblichen Interessenvertretung hingewiesen, die in diesem Bereich auch deutliches Verhandlungsgeschick aufweisen muss, um Nachteile zu begrenzen. Die Bezüge zur Steuerungsfunktion in der Krise des Unternehmens bis hin zur Insolvenzsituation werden deutlich angesprochen, wobei die gesellschafts- umwandlungsrechtlichen Bezüge überaus transparent dargestellt werden. Eine maßgebliche Steuerungsfunktion entwickelt in der Krise der Insolvenz der Sozialplan, der zahlreiche Berührungspunkte zum Individualarbeitsrecht aufweist. Eingehend berücksichtigt wird in diesem Zusammenhang die Namensliste des § 1 V KSchG und des § 125 InsO mit ihren je unterschiedlichen Funktionen. Es wäre an dieser Stelle sinnlos, sich in Einzelheiten zu verlieren. Der Leser wird hier allerdings kaum eine gesuchte Detailinformation vermissen. Hinzu kommt, dass im Anhang zu §§ 111 ff BetrVG auch die §§ 121 – 128 InsO kommentiert sind. Enthalten ist auch eine Kommentierung zum EBRG, wobei letztere die zunehmenden Erfahrungen mit dieser Institution ständig verarbeitet und das EBR – Gesetz einbeziehen. Wie ein roter Faden ziehen sich datenschutzrechtliche Erörterungen durch die schillernde Kommentierung.

Der klar strukturierte und sehr verständlich geschriebene Kommentar ist ausgezeichnet und gehört zu den besten seiner Art.

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