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Rezensionen juristischer Literatur

Ein Praxishandbuch zur Berufung in Zivilsachen

W. Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 9. Auflage, 2022, C.H.Beck

Eine Rezension zu:

Abbildung von Kramer | Die Berufung in Zivilsachen | 9. Auflage | 2022 | beck-shop.de

Wolfgang Kramer

Die Berufung in Zivilsachen

9., neu bearbeitete Auflage

Einzeldarstellung

München: C.H. Beck (Vahlen), 2022, 334 S., 39,00 Euro

ISBN 978-3-406-78106-3

www.beck-shop.de

Das früher im Verlag Vahlen erschienene und von Dr. Claus – Dieter Schumann begründete Werk erscheint seit der Vorauflage bei C.H.Beck. Da die letzte Auflage im Jahr 2015 erschienen war, waren umfassende Änderungen notwendig, die den Band  noch praxisnäher machen.

Seit der grundlegenden Reform des Zivilprozesses im Jahr 2002 hat sich das Berufungsrecht aufgrund von Gesetzesänderungen und einer kaum noch übersehbaren Rechtsprechung erheblich verändert. Die Reform war maßgeblicher Gegenstand der Vorauflagen von 2002 und 2007. Wie der Verfasser im Vorwort zur vorletzten Auflage treffend schrieb, ist die Reform war erheblicher Kritik ausgesetzt und ist es noch. Die Neuauflage arbeitet die Entwicklungen der letzten sechs Jahre überzeugend auf, in denen sich im Zivilprozessrecht erhebliche Detailkorrekturen am Gesetzestext aufgrund ständiger Gesetzesänderungen ergeben haben. Der Verfasser schreibt im Vorwort sehr treffend, dass das Berufungsrecht in Zivilsachen zunehmend komplexer wird und sich gängige Linien kaum noch erkennen lassen. Im Zentrum stehen die Bewältigungen von Einzelproblemen, was sich durch dioe COVID19-Krise nicht verbessert hat. Viele durch Neuregelungen im Detail aufgeworfene Fragen sind nach wie vor ungeklärt, so dass hier teilweise eigene Ansätze entwickelt werden. Stärker als in früheren Auflagen berücksichtigt wird erneut die anwaltliche Perspektive.

Der Leitfaden stellt das gesamte Berufungsverfahren ausführlich und praxisnah dar. Neben der systematischen Aufbereitung und vollständigen Durchdringung des Berufungsrechts enthält das Werk zahlreiche praktische Hinweise und Hilfestellungen bis hin zu taktischen Überlegungen für die Verfahrensgestaltung, zumal hier für die Anwaltschaft streckenweise erhebliche Risiken bestehen.

Die 9. Auflage berücksichtigt die Gesetzesänderungen sowie die höchstrichterliche Rechtsprechung bis Mitte 2021 und passt das Berufungsrecht mit all seinen Facetten dieser Entwicklung an. Neben der systematischen Aufbereitung und vollständigen Durchdringung des Berufungsrechts enthält das Werk zahlreiche praktische Hinweise und Hilfestellungen bis hin zu taktischen Überlegungen für die Verfahrensgestaltung, geht aber auch auf Details ein. Im Vorgrund stehen zwar die vorherrschenden Meinungen nebst der Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte, doch wird hierzu teilweise auch kritisch Stellung bezogen. An vielen Stellen wird die Relationsmethode angewendet, die nach wie vor erhebliche Vorteile bietet.
Bestmögliche Praxis-Umsetzung ­garantieren:
  • eine Fülle von aktuellen Beispielsfällen
  • zahlreiche Muster und Formulierungsvorschläge, u.a. für Wiedereinsetzungsgesuch, Berufungsschrift, Berufungsbegründung und Berufungsrücknahme, für die Gestaltung von Prozessvergleichen sowie für Anträge, Tenorierungen und Abfassung von Entscheidungen
  • Schemata für Gutachten/Relation.
Der »Kramer« ist somit die ideale Ergänzung zu den herkömmlichen verfahrensrechtlichen Lehrbüchern und Kommentaren.

Nach wie vor hilft das Buch insbesondere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten Haftungsfallen zu vermeiden, allerdings ist in manchen Bereichen der “sichere Weg” nur schwer erkennbar. Der Band versucht hier wenigstens Hilfestellungen zu geben. Wie gewohnt, finden sich in diesem Buch zahlreiche nützliche Hinweise für die richterliche Dezernatsarbeit, die durchaus auch für den Rechtsanwalt interessant sind, da deren Kenntnis die Kommunikation vereinfachen kann. Der erste Teil widmet sich intensiv der gerichtsinternen Zuständigkeitsprüfung.

Der zweite Abschnitt legt den Schwerpunkt auf Zulässigkeitsfragen. Besonders interessant ist etwa die Auseinandersetzung mit den berufungsfähigen Entscheidungen und selbstredend die Erörterung der Berufungsfrist. Hier ist beispielweise der Hinweis hervorzuheben, dass die Einreichung einer Rügeschrift nach § 321 a ZPO niemals als Berufung gewertet werden kann, da sich diese Vorgehensformen grds. ausschließen, sofern nicht der Berufungswert von Euro 600,- in Frage steht, über dessen Vorliegen das Berufungsgericht eigenständig entscheidet, ohne an die Streitwertfestsetzung des Gerichts erster Instanz gebunden zu sein. Der Verfasser erteilt den klugen Rat, in solchen Fällen, beide Rechtsbehelfe einzulegen, um eine – unanfechtbare – Vorausentscheidung des Berufungsgerichts über den Wert des Beschwerdegegenstandes durch Beschluss zu erreichen.

Eine eingehende Auseinandersetzung findet sich zur Einreichung der Berufungsschrift per Telefax, die die einschlägige Rechtsprechung souverän aufarbeitet, aber nunmehr durch den elektronischen Rechtsverkehr – mit eigenen Problemstellungen – abgelöst wurde, wobei auf § 130 a ZPO eingehend eingegangen wird. Sehr lesenswert sind die Ausführungen zur – nur noch einmalig verlängerbaren – Berufungsbegründungsfrist, wobei insbesondere die neue Regelung des § 520 II 3 ZPO von Bedeutung ist, da der Gegner selten zustimmen dürfte. Der Verfasser ist entgegen der verbreiteten, früheren Praxis der meisten Berufungsgerichte der Auffassung, dass eine Verlängerung an das Vorliegen erheblicher Gründe gekoppelt ist, die konkret darzulegen sind und nennt entsprechende Beispiele. Es kann daher gefährlich sein, als Rechtsanwalt auf eine wohlwollende „Pauschalverlängerung” zu vertrauen. Entsprechend kritische Äußerungen finden sich – wie in der Vorauflage – zur anwaltlichen „Fristenakrobatik”. Für die erfolgreiche Wiedereinsetzung wird ein interessant gestaltetes Musterschreiben präsentiert. Besonders nützlich sind die zahlreichen Hinweise zur Berufungsbegründung und zur Form der Berufungsschrift, da sie Fehler vermeiden helfen. Dies beginnt bereits mit Formulierungshilfen für erfolgreiche Berufungsanträge und führt dann zu den erheblichen Anforderungen an eine schlüssige Berufungsbegründung nach § 520 III 2 ZPO. Es ist entweder erforderlich eine Rechtsverletzung wie bei § 546 ZPO darzulegen oder aber schlüssig zu machen, dass die nach § 259 ZPO zugrundgelegten Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen, was auch kumulativ geschehen kann. Diese Begründungserfordernisse werden im einzelnen sehr anschaulich dargelegt und so erläutert, dass sie gerade auch dem Berufsanfänger und dem Referendar eine wirkliche Hilfestellung geben. Dies zeigt sich etwa am Beispiel des Angriffes auf eine erstinstanzliche Beweiswürdigung, die so konkret wie möglich erfolgen muss. Potentielle Fehlerquellen werden deutlich offengelegt, auch hinsichtlich des strengen Bezugnahmeverbots. Interessant sind die Darlegungen zur Berufungsrücknahme und zur Anschlussberufung im dritten Abschnitt. Insbesondere für die Anschlussberufung werden verbleibende Zweifelsfragen erörtert, so etwa zur Befristung der Anschlussberufung, die jedenfalls nicht lediglich das Urteil erster Instanz lediglich verteidigen darf. Anwendungsbeispiele machen dies deutlich.

Sehr klar dargelegt wird die gesetzliche Stufenfolge der Regelungen der §§ 522, 523 I, 527 I ZPO. Hier werden die Hürden verdeutlicht, die eine erfolgreiche Berufung ab Zulässigkeit nehmen muss, um überhaupt durchzudringen. Besonders intensiv wird hier die Zurückweisung der Berufung mangels Erfolgsaussicht erörtert, da sie in der Praxis breiten Raum einnimmt. Hinsichtlich Prüfungsumfang und Entscheidungsspielraum wird sich oft die Frage nach der Zulässigkeit neuen Angriffs- und Verteidigungsvorbringens stellen, die in ihren Grundstrukturen klar erläutert dargelegt werden. Interessant sind die Darlegungen zur intensiven Vorbereitung der Berufungsverhandlung und zum Vergleich sowie selbstredend zur Revisionszulassung. Hier wird die neuere BGH – Rechtsprechung eingehend diskutiert. Insbesondere für Richter und Referendare von hohem Interesse sind die Ausführungen zur Abfassung des Berufungsurteils.

Das Werk bietet nach wie vor eine präzise Erörterung aller maßgeblichen Fragen des Berufungsrechts und ist aus der Literatur nicht mehr wegzudenken. Das Werk ist ungemein lesenswert und gehört nach wie vor zu den besten Darstellungen dieser Art!

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