Eine Rezension zu:
Wolfgang Däubler/Thomas Klebe/Peter Wedde (Hrsg.)
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz mit aktueller Wahlordnung und EBR – Gesetz
Kommentar für die Praxis
19. Auflage
Frankfurt/Main: Bund-Verlag, 2024, 3304 S., 119,00 Euro inkl. MwSt
auch als digitale Ausgabe
ISBN 978-3-7663-7389-2
Die Printfassung des Kommentars erscheint – wie seit 15 Jahren üblich – zwei Jahre nach der Vorauflage und hat jetzt den Stand von November 2023, die digitale Fassung wird fortlaufend aktualisiert und das Zugangsrecht zu dieser Datenbank wird mit der Print – Ausgabe erworben (der Zugangscode steht gesondert im Buch). Die Kommentatoren hatten erneut zahlreiche neue Entwicklungen einzuarbeiten, ungeachtet der anhaltenden Dynamik der Rechtsprechung, nicht zuletzt nach der betriebsverfassungsrechtlichen Begleitung der COVID19-Krise. Ohnehin werden aktuelle Entwicklungstendenzen in den Betrieben in dieser Kommentierung sehr früh aufgegriffen und analysiert.
Der Standard-Kommentar für Betriebsräte, Berater, Gerichtsbarkeit und Wissenschaft dokumentiert im Rahmen einer sehr detaillierten und praxisnahen Darstellung die gesamte Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht. Für Konfliktfälle, die noch nicht richterlich entschieden sind, entwickeln die Autoren interessante Lösungsmodelle. Gesetzesentwicklungen, Literatur und Rechtsprechung sind bis einschließlich Ende Oktober 2023 in die Printausgabe eingearbeitet. Neuere Entwicklungen sind in der Datenbank entsprechend berücksichtigt.
Das Betriebsverfassungsgesetz hat durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz umfassende Änderungen erfahren, die auch das Verfahren der kollektiven Willensbildung betreffen. Zudem ist die Wahlordnung völlig neu gefasst worden. Der vollständig überarbeitete Kommentar zum BetrVG erläutert sämtliche Neuerungen fundiert und leistet die nötige Unterstützung für die Umsetzung in der Praxis. Zahlreiche Beispielsfälle dienen der Veranschaulichung. Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand von Oktober 2023 verarbeitet. Die Online-Verlängerung enthält aktuelle Erläuterungen zum Thema KI und Betriebsrat, Einfluss des Metaverse und ChatGPT.
Der Kommentar bietet in der Neuauflage die erste Kommentierung zur geplanten neuen Betriebsrätevergütung, bietet fundierte Lösungen an und zwar auch zu neuen Themen und Rechtsfragen.
Die Arbeit der Betriebsräte ist durch die Digitalisierung komplexer geworden. Die Einführung von KI und ChatGPT sowie der Trend zur weiteren Automatisierung in nahezu allen Arbeitsbereichen bringen neue Herausforderungen für die Mitbestimmung. Die Autoren stellen sich den neuen Entwicklungen, ordnen sie betriebsverfassungsrechtlich ein und entwickeln eigenständige Lösungen, wo noch keine klaren Regeln bestehen. Alle Teile des Kommentars wurden aktualisiert. Die geplanten Neuregelungen zur Betriebsrätevergütung, die voraussichtlich im ersten Quartal 2024 in Kraft treten, sind bereits umfassend berücksichtigt. Sobald das Gesetz in Kraft tritt wird die Online-Version angepasst.
Kernthemen der Neuauflage sind:
- Geplante Neuregelungen zur Betriebsrätevergütung
- Mitbestimmung beim Hinweisgeberschutzgesetz
- Arbeitszeiterfassung und Initiativrecht des Betriebsrats
- Initiativrecht des Betriebsrats bei technischen Einrichtungen
- Mitbestimmung bei KI, insbesondere ChatGPT und Metaverse
- Digitalisierung der Gewerkschaftsarbeit im Betrieb
- Details zu Online-Betriebsratssitzungen
- Erste Rechtsprechung zur neuen Wahlordnung
Die Neuauflage berücksichtigt neben den genannten Themen erneut Aspekte der Entwicklung von Arbeitszeitsmodellen und mobiler Arbeit, das brisante Thema “Leiharbeit”, aktuelle Fragen der betrieblichen Mitbestimmung, Auswirkungen des Crowdsourcing auf die betriebliche Mitbestimmung, Umgang mit Social Networks, Integrationsvereinbarungen, brisante Entwicklungen im Bereich des Betriebsüberganges und etliches mehr. Auch das Thema betrieblicher Datenschutz wird erneut noch intensiver erörtert. Ein Schwerpunkt der Neuauflage liegt auf den Veränderungen, die die Digitalisierung hinsichtlich der betrieblichen Mitbestimmung mit sich bringt, insbesondere hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Probleme, aber auch hinsichtlich der Optionen für die betriebliche Mitbestimmung bei der Gestaltung dieses Prozesses, der unumkehrbar ist. Dazu gehört das Auskunftsrecht aus § 90 BetrVG bei der Einführung von KI-Technologien und der Möglichkeit der vereinfachten Einschaltung eines IT-Sachverständigen nach § 80 Abs.3 BetrVG. Inwieweit dieses Auskunftsrecht sich auch auf technische Kontrolleinrichtungen erstreckt und wie die betriebliche Mitbestimmung hier zu handhaben ist, wird eingehend erläutert. Darüber ist der Datenschutz im Betriebsratsbüro nach § 79 a BetrVG ein weiterer Schwerpunkt. Vertieft erläutert wird § 87 Abs.1 Nr. 14 BetrVG, der ein Mitbestimmungsrecht über die Ausgestaltung mobiler Arbeit enthält, in Abgrenzung zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit diese Möglichkeiten einzuführen. Insoweit enthält die Kommentierung eine Bestandsaufnahme der bisherigen Praxiserfahrungen damit.
Erneut und angesichts der aktuellen unternehmensrechtlichen wenig verwunderlich, liegt ein Schwerpunkt bei Umstrukturierung von Unternehmen und deren betriebsverfassungsrechtlichen Folgen. Dieses Thema wird angesichts der Bewältigung der COVID19-Krise in Unternehmen zur Abwendung von Insolvenzen zwangsläufig zu einem zentralen Thema, dass nunmehr unter Einbeziehung der neuen Möglichkeiten durch das StaRUG und die Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte in diesem Bereich erfolgt. Der Kommentar erfasst das deutsche Betriebsverfassungsrecht umfassend und stellt sich immer wieder gerade auch den aktuellen Streitfragen sowie den aktuellen Entwicklungstendenzen. Die Entwicklung zeigt aber auch die Verschränkung zwischen Print und Onlineausgabe und der Notwendigkeit digitaler Fassungen der entsprechenden Werke, die der Verlag seit Jahren aktiv voran treibt.
Die Kommentierung trägt den aktuellen Problemlagen bei den §§ 111 ff BetrVG eingehend Rechnung. Es existiert hier keine volle Mitbestimmung, da es sich um grundlegende unternehmerische Entscheidungen handelt, in die überdies die Internationalisierung der Wirtschaft stark hineinspielt. Angesichts dieser Restriktionen wird denn auch deutlich auf die beschränkten Möglichkeiten der betrieblichen Interessenvertretung hingewiesen, die in diesem Bereich auch deutliches Verhandlungsgeschick aufweisen muss, um Nachteile zu begrenzen. Die Bezüge zur Steuerungsfunktion in der Krise des Unternehmens bis hin zur Insolvenzsituation werden deutlich angesprochen, wobei die gesellschafts- umwandlungsrechtlichen Bezüge überaus transparent dargestellt werden. Eine maßgebliche Steuerungsfunktion entwickelt in der Krise der Insolvenz der Sozialplan, der zahlreiche Berührungspunkte zum Individualarbeitsrecht aufweist. Eingehend berücksichtigt wird in diesem Zusammenhang die Namensliste des § 1 V KSchG und des § 125 InsO mit ihren je unterschiedlichen Funktionen. Es wäre an dieser Stelle sinnlos, sich in Einzelheiten zu verlieren. Der Leser wird hier allerdings kaum eine gesuchte Detailinformation vermissen. Hinzu kommt, dass im Anhang zu §§ 111 ff BetrVG auch die §§ 121 – 128 InsO kommentiert sind. Enthalten ist auch eine Kommentierung zum EBRG, wobei letztere die zunehmenden Erfahrungen mit dieser Institution ständig verarbeitet und das EBR – Gesetz einbeziehen. Wie ein roter Faden ziehen sich datenschutzrechtliche Erörterungen durch die schillernde Kommentierung.
Eine weit ausgreifende, auch die Historie behandelnde Einleitung gibt eine ausführliche und sehr strukturierte Einführung in das Recht der deutschen Betriebsverfassung, wobei allerdings nicht nur die Strukturprinzipien und Rechtsschutzmöglichkeiten dargestellt werden, sondern auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden, so der Einfluss der Internationalisierung der Wirtschaft unter Einbeziehung der Probleme der Betriebsverfassung bei ausländischer Unternehmens- oder Konzernspitze, wobei hier auch IPR – Gesichtspunkte berücksichtigt werden, so die selbständige Anknüpfung der Betriebsverfassung jenseits des Arbeitsvertragsstatutes. Dies hat insbesondere Bedeutung für die Auskunftsrechte des Betriebsrates, die an den Grenzen nicht halt machen und zum “Informationsdurchgriff” führen unter Kontaktaufnahme mit ausländischen Interessenvertretungen können.
Betriebsräte sind bei aller Verbreitung der Institution des Betriebsrats keine Selbstverständlichkeit. Die Errichtung stößt oftmals auf Widerstände, gerade durch Outsourcing im “GmbH-Konzern”, die aber durchaus einen Gemeinschaftsbetrieb aufweisen können. Diese Probleme werden hier sehr eingehend unter eingehender Analyse der Rechtsprechung behandelt und wurde weiter vertieft. Dies gilt insbesondere für das „Zusammenspiel“ des BetrVG mit der Einführung von Kurzarbeit und Massenentlassungen nach §§ 17 ff KSchG. Das „Mannheimer Modell“ bei Abfindungen, um Steuern zu sparen, wird eingehend erörtert. Insbesondere in der Kommentierung zu § 5 BetrVG werden die Einflüsse der “Sozialgesetzgebung” berücksichtigt, so bei den arbeitnehmerähnlichen Personen, der sich ausweitenden freien Mitarbeit unter Einschluss der – sich jetzt erheblich wandelnden – “Werkverträge bis hinzu den „Solo – Selbständigen“. Der Bereich der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen und der Scheinselbständigen des Sozialversicherungsrechts bereiten derzeit arbeits – und sozialversicherungsrechtlich erhebliche Probleme, so dass die Kommentierung den Bezügen zum Betriebsverfassungsrecht intensiv nachspürt. In diesem Zusammenhang wird auch intensiv auf die Rechtsstellung der Franchisenehmer eingegangen, bei denen die neuere Rechtsprechung die Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und Arbeitnehmereigenschaft oftmals danach vornimmt, ob eigene Arbeitnehmer beim Franchisenehmer beschäftigt sind.
Die Kommentierung des zweiten Teils des BetrVG enthält eine nahe minutiöse Analyse der Rechtsprechung und Literatur zur Konstituierung und Wahl des Betriebsrats, wobei ein deutlicher Schwerpunkt bei den Regelungen zum Gesamt- und Konzernbetriebsrat gesetzt wird. Die letztgenannte Kommentierung führt den Leser tief in das Aktienkonzernrecht, dessen Skizze die Vorbemerkungen zu § 54 BetrVG gelten und dessen betriebsverfassungsrechtliche Struktur auf der Gesamtbetriebsratsverfassung aufbaut, von deren Existenz sie abhängig ist. Die Vorbemerkungen zu § 54 BetrVG enthalten darüber hinaus profunde Darlegungen zur Bedeutung von Konzernen und zum Konzernarbeitsrecht. Es ist ein Anliegen dieser Kommentierung Verbindungslinien zu benachbarten Rechtsbereichen nicht nur zu ziehen, sondern diese “Schnittstellen” aus sich heraus begreifbar zu machen. Vertieft wurden die Ausführungen zur Whistle-Blower-Thematik angesichts der neueren, europarechtlichen Rechtsentwicklungen.
Alle Kommentierungen des BetrVG legen einen deutlichen Schwerpunkt auf die Erläuterungen der §§ 74 ff BetrVG, die das Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer regeln. Besonders § 75 BetrVG entfaltet hier hinsichtlich des normativen Maßstabs prägende Bedeutung. Die Kommentierung berücksichtigt dabei auch schon die noch nicht in nationales Recht überführten, aber bereits aufgrund nicht fristgerechter Umsetzung gegenüber dem Staat unmittelbar anwendbaren und in der Betriebsverfassung mittelbar wirkenden Antidiskriminierungsrichtlinien der EU. Den aktuellen Stand der Kontroversen auch um tarifliche Öffnungsklauseln spiegelt die Kommentierung des § 77 BetrVG wieder, die allerdings von einem engen Verständnis des § 77 III 2 BetrVG ausgeht und versucht eine Parallele zum Problem der staatsrechtlichen Verordnungsermächtigung zu ziehen. Äußerst lesenswert ist nach die vor die Kommentierung zu § 87 BetrVG, die nunmehr eine eingehende Aufarbeitung der Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrates bei der Einführung neuer Technologien enthält, ohne das ein umfassendes Mitbestimmungsrecht hier besteht. Gesetzlich erfasst werden nur Teilaspekte, wie etwa bei der Einführung technischer Überwachungseinrichtungen. Die Kommentierung geht hier eingehend auf das Spannungsverhältnis der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer, der Mitbestimmungsrechte der betrieblichen Interessenvertretung und ihres etwaigen Initiativrechts sowie auf die schützenswerten Belange der Arbeitgeber ein, die stets zu einer Abwägungsentscheidung führen. In diesem Zusammenhang werden auch datenschutzrechtliche Aspekte aufgearbeitet. Die wesentlichen Einzelfälle sind hier übersichtlich zusammengefasst.
Der klar strukturierte und sehr verständlich geschriebene Kommentar ist ausgezeichnet und gehört nach wie vor zu den besten seiner Art.