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Rezensionen juristischer Literatur

Arbeitnehmermitbestimmung in Europa

Blanke/Hayen/Kunz/Carlson, Europäische Betriebsräte-Gesetz, 3. Aufl., 2019, Nomos

Eine Rezension zu:

 Blanke / Hayen / Kunz / Carlson | Europäische Betriebsräte-Gesetz | Cover

Thomas Blanke / Ralf-Peter Hayen / Olaf Kunz / Sandra Birte Carlson

Europäische Betriebsräte-Gesetz

Arbeitnehmermitbestimmung in Europa

Von Prof. Dr. Thomas Blanke, Ralf-Peter Hayen, RA Olaf Kunz, RAin Dr. Sandra Birte Carlson, LL.M., FAArbR

3. Auflage

Baden-Baden: Nomos, 2019, 630 S., Gebunden, 138,00 Euroinkl. MwSt.

ISBN 978-3-8329-7406-0

Die Autoren bringen ihre Beratungserfahrungen in der Betreuung von EBR- und SE-Gremien ein. Sie waren in das Gesetzgebungsverfahren zur Neufassung der EBR-RL und zur Änderung des EBRG eingebunden: Prof. Dr. Thomas Blanke ✝, Oldenburg | Ralf-Peter Hayen, Ass. jur., Referatsleiter, DGB Bundesvorstand, Abteilung Recht, Berlin | Olaf Kunz, Rechtsanwalt, Leiter der Tarifabteilung der IG Metall Bezirksleitung Küste, Hamburg | Dr. Sandra Birte Carlson, LL.M., Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Nürnberg.

2. Auflage

Baden-Baden: Nomos-Verlag, 2006, 520 S.

ISBN 3-8329-1370-x

www.nomos-shop.de

Die RL 20009/38/EG (Vorgänger: RL 94/45 EG v. 22.01.1994) hatte erstmals eine Institution des kollektiven Arbeitsrechts auf europäischer Ebene geschaffen. Die Erfahrungen mit diesen neuen Institution entwickelten sich zunächst langsam, haben aber inzwischen einen stürmischen Verlauf genommen. Diese Richtlinie trug auf der Ebene des kollektiven Arbeitsrechts erstmals der Tatsache der grenzüberschreitenden Verflechtung von Unternehmen Rechnung, die inzwischen konsequent weiter fortgeschritten ist. Die Betriebsverfassung hat in ganz Europa – in unterschiedlichen Ausprägungen – die Aufgabe den Interessen der wertschöpfenden Beschäftigten angemessen Gehör zu verschaffen und sie als das zu begreifen, was sie sind: ein wichtiger Bestandteil des Unternehmens.

Die Kommentierung erscheint nach dem Tod von Prof. Blanke im Jahr 2017 nach 10 Jahren erstmals neu, verfasst von ehemaligen Mitarbeitern. Die nahezu völlig neu geschriebene Neuauflage trägt der gewachsenen Bedeutung dieser Institution Rechnung, zeichnet aber auch ein kritisches Bild des europäischen, kollektiven Arbeitsrechts vor dem Hintergrund nachlassender innerer und äußerer Konsolidierung der EU. In gewisser Hinsicht ist die europäische Mitbestimmung in ihrer Entwicklung ein Spiegelbild der Entwicklung der inzwischen häufiger anzutreffenden SE, so dass diese Kommentierungen auch zahlreiche Bezüge zum europäischen Gesellschaftsrecht enthält. Infolge der Entwicklungen seit der Novellierung im Jahr 2009 geht die Kommentierung im Detail auf Ergänzungen, Präzisierungen und Neustrukturierungen in diesem Bereich ein, gefolgt von der Umsetzung in deutsches Recht, die maßgeblicher Gegenstand der Kommentierung ist, aber stets mit Blick auf die europarechtlichen Vorgaben. Die Entwicklungsphansen werden in der Einleitung eingehend nachgezeichnet, die auch auf die deutschen Besonderheiten infolge des Gesetzgebungsprozesses 2010/2011 näher eingeht und als Einführung in die Thematik hervorragende Dienste leistet.

Heute gibt es etwa 750 europäische Betriebsräte und alternative dezentrale Verfahren, die über 17 Millionen Beschäftigte in ganz Europa vertreten, was mehr als 10 % der Arbeitnehmer Europas entspricht. Dabei setzt die Regelung über die europäischen Betriebsräte ganz anders an als etwa das deutsche BetrVG, indem an die Stelle zwingen zu befolgender gesetzlicher Vorgaben ein Muster der Aushandelung von Ergebnissen getreten ist, die durch die rechtlichen Regelungen mehr oder weniger erzwungen werden. Man könnte fast von einem Ansatz einer deliberativen Betriebsverfassung sprechen. Diese Regelungen sind statt eines Gegeneinanders von einem latenten Zwang zur Kooperation im allseitigen Interesse gekennzeichnet. Die Praxis zeigt, dass dieses Modell funktioniert und zu flexiblen Ergebnissen führt. Es ist insbesondere ein Anliegen dieses Kommentars die Praxis der Rechtsanwendung in den Betrieben zu dokumentieren und ihr Impulse zu geben. Insofern wendet sich der Kommentar selbstverständlich nicht nur an Juristen, sondern auch an Betriebsräte und Unternehmer.

Die umfassende Änderung des EBRG durch das 2. EBRG-ÄndG setzt die EBR-Richtlinie 2009/38/EG um. Verbesserte Regelungen für die Beteiligung von Europäischen Betriebsräten, ihre Zusammenarbeit mit nationalen Arbeitnehmervertretungen und die Neuverhandlung von Vereinbarungen stehen für die einschneidenden Änderungen, die im Detail diskutiert werden, unter dem Blickwinkel einer Optimierung der betrieblichen Praxis, bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in mindestens zwei Staaten mit entsprechenden Standorten.

Die 3. Auflage des EBRG-Kommentars geht auf sämtliche, vielfach ergänzte und neu strukturierte Regelungen ein und informiert auf dem neusten Stand über:

  • Inhalt, Umfang und Zeitpunkt von Information und Konsultation durch die zentrale Leitung und der damit verbundenen Ebenenabstimmung,
  • den Auskunftsanspruch der EBR-Akteure gegenüber der zentralen Leitung zur Errichtung eines Gremiums sowie die Berichtspflicht der EBR gegenüber allen nationalen Interessenvertretungen oder den Arbeitnehmern unmittelbar,
  • die Zusammensetzungsregeln des besonderen Verhandlungsgremiums und des EBR,
  • Soll-Vorschriften für Inhalte von EBR-Vereinbarungen,
  • die Möglichkeit und Voraussetzung einer Neuverhandlung von Vereinbarungen bei wesentlichen Strukturänderungen,
  • Fortbildung, Sachverständigenheranziehung und Kostentragung,
  • Umfang und Grenzen der Fortgeltung bestehender Vereinbarungen sowie
  • Sanktionen und Unterlassungsanspruch als unionsrechtswidrige Umsetzungsdefizite,
  • Auswirkungen des Brexits auf die Mandate von EBR-Mitgliedern in und aus UK
  • Änderung von EBR-RL und EBRG zur Zulässigkeit von Sitzungsteilnahmen und Beschlussfassungen per Videokonferenz für Mandatsträger in der Seeschifffahrt.

Auf mögliche Folgen des Brexit wird angesichts der zahlreichen Verflechtungen mit Unternehmen aus UK intensiv eingegangen. Die vorzügliche Kommentierung geht auch auf die Ergänzungen aus dem Jahr 2015 für Seeleute ein, die als § 41 a EBRG in das Gesetz eingefügt wurden.

Die Rspr. insbesondere des EuGH ist im Detail ausgewertet und wird teilweise kritisch kommentiert, wobei auch die Verflechtungen dieses Rechtsbereiches mit anderen Bereichen des Arbeitsrechts eingehend berücksichtigt werden. Die Kommentierungen setzt bei der Einbeziehung der je nationalen Rechtsprechung auch rechtsvergleichend an, indem Urteile aus Frankreich, Belgien, Spanien, den Niederlanden und Deutschland einbezogen werden. Die Kommentierung bildet interessante Schwerpunkte, etwa bei den Konsultationsverfahren mit Informations-, Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren sowie der Streitfrage, ob deren Unterlassung einen Unterlassungsanspruch auslösen kann. Die Kommentierungen gehen auf die europarechtlichen Grundalgen direkt im Text der Kommentierung ein und konfrontieren die deutsche Rechtslage mit diesen Rechtsgrundlagen. Die je nationalen EBR-Rechte werden dabei rechtsvergleichend einbezogen, soweit Abweichungen vorhanden sind.

Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung wird, zusätzlich zur Kommentierung der Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft nach dem SEBG und der SE-Richtlinie, eingehend erläutert. Angesichts der neueren Entwicklungen ist das Konzept des Kommentars völlig konsequent erweitert worden.

Teil A geht eingehend auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer nach dem EBRG ein. Hierzu war es notwendig, zunächst einmal den Anwendungsbereich zu strukturieren und im Rahmen des § 2 auf Grenzfälle bei Drittstaatenberührung einzugehen. Eingehend wird im Rahmen der Kommentierung auch auf die  gesellschaftsrechtlichen Grundlagen eingehen, unter Einschluss der Thematik der Sitzverlegung. Erst die gesellschaftsrechtliche Analyse macht die Darlegungen über die Arbeitnehmerbeteiligung nach der SE-RL und dem SEBG richtig verständlich. Allerdings ist der Hinweis sehr treffend, dass man davon absehen sollte, die SE als einheitliche Rechtsform zu sehen. Die Rechtsgrundlagen erlauben vielmehr einen Gestaltungsspielraum, der eine Vielfalt der SE- Rechtsformen ermöglicht. Dies folgt auch einer Gemengelage gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben und nationaler Ausgestaltungsspielräume sowie der Anwendbarkeit nationalen Gesellschaftsrechts. Hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung ist ebenfalls eine denkbare Vielfalt zu verzeichnen, die Raum für nationale Besonderheiten schafft. Die Einzelheiten werden hier sehr strukturiert dargestellt, auch bezüglich der Voraussetzungen einer zwingenden Errichtung nach § 21. So wird insbesondere verdeutlicht, dass auch die Mitbestimmung bei der SE auf Verhandlungslösungen statt starrer Vorgaben setzt. Diese Verfahren werden sehr präzise rekonstruiert.

Die Kommentierung des EBRG geht auf alle wesentliche Problemstellungen ein, so auch etwa auf die Probleme bei der Durchsetzung des Auskunftsanspruchs aus § 5 EBRG. Diese Norm gilt zu den umstrittensten Normen dieses Gesetzes und gibt der Arbeitnehmervertretung das Recht Einzelheiten über Arbeitnehmerzahlen und deren Verteilung zu erfahren. Ohne diese Auskunft ist eine angemessene Vertretung äußerst schwierig. Die Darstellung geht auf die Details der Durchsetzung und weist etwa auch darauf hin, dass nach § 85 ArbGG die Möglichkeit der Erwirkung einer einstweiligen Verfügung besteht. Es liegt auf der Hand, dass das Verfahrensmodell und die Verhandlungslösungen sowie die Zusammensetzung des EBR eingehend analysiert wird. Dies gilt auch für die teilweise umstrittenen Anhörungs – und Unterrichtungsrechte sowie die Strafvorschriften. Wer Informationen zu Einzelaspekten sucht, wird sie hier schnell finden.

Teil B kommentiert die SE-RL mit Blick auf das EBRG und die SEBG. Die wesentlichen Inhalte der Richtlinie werden ebenso vorgestellt wie ihre schwierige Entstehungsgeschichte. Damit wird mit Recht großer Wert auf eine Analyse der Wirkungen dieses Modells gelegt und dargestellt, dass es von einem strikten Vorrang von Vereinbarungen vor dem Gesetz gekennzeichnet ist und zwingend eine Kooperation erforderlich macht, um sich nicht gegenseitig zu blockieren. Es ist sehr zu begrüßen, dass diese Kommentierung auf die rechtspolitischen Entwicklungen in diesem Bereich intensiv eingeht.

Konkrete Hinweise zur Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmen, ein Musterbrief an die Unternehmensleitung sowie eine Muster-EBR-Vereinbarung unterstreichen die Beratungsnähe.

Das Werk richtet sich an EBR-Initiatoren, -Mitglieder, -Berater/ -Betreuer, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit wie Experten in Wissenschaft, Verwaltung und Politik.

Der Kommentar bietet allen Interessenten vielfältige, kompetente und sehr transparente Informationen über das Recht der Europäischen Betriebsverfassung unter Einschluss rechtspolitischer Aspekte auf aktuellem Stand.

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