Detlef Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, ZAP – Verlag
Eine Rezension zu:
Detlef Burhoff
Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren
9., aktualisierte und wesentlich erweiterte Auflage
Bonn: ZAP – Verlag, 2022, 1.896 S., 129,00 Euro inkl. MwSt.
ISBN 978-3-89655-0016-8
– Auch im Paket mit dem Handbuch für das strafrechtliche Hauptverfahren – für 199,00 € inkl. MwSt,
Ergänzende Informationen unter:
Die Qualität dieses einzigartigen Handbuches hat sich über neun Auflagen hinweg deutlich herumgesprochen. Es wird auch von Staatsanwälten und Strafrichtern genutzt, nicht nur von Strafverteidigern (die weibliche Form jeweils eingeschlossen). Es bietet eine umfassende, kompakte Darstellung aller maßgeblichen Aspekte des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Wie der Verfasser im Vorwort treffend bemerkt, werden Strafprozesse durch Anwälte für Mandanten nicht erst in der Hauptverhandlung entschieden. Das Ziel sollte sein, es soweit möglichst nicht kommen zu lassen, was sich aber oftmals nicht realisieren lässt. Der Verfasser – früher Richter am OLG Hamm, heute Rechtsanwalt in Leer und Augsburg und Verfasser eines hochinteressanten Blogs im Internet – hat mit seinen neuen Mitautoren das Handbuch wieder durchgehend aktualisiert, erneut wesentlich erweitert und wesentliche Teile neu geschrieben. Der Band stellt eine gewisse Zäsur dar, da erstmals Mitautoren in die Bearbeitung eingetreten sind, so dass diese Auflage eine gewisse Zäsur darstellt.
Bereits das Ermittlungsverfahren zielt auf die mündliche Hauptverhandlung als dem “Herz” des Strafprozesses. Zur mündlichen Hauptverhandlung haben die Verfasser ebenfalls ein gleichwertiges Handbuch verfasst (Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, ZAP – Verlag, Neuauflage 2022 bereits erschienen). Die Darstellung vermeidet aber Überschneidungen mit diesem Handbuch aus nachvollziehbaren Gründen, soweit möglich. Die beiden Bände ergänzen sich optimal. Die Verfasser vermeiden Einseitigkeit, auch wenn sich das Buch primär an Strafverteidiger oder Anwälte richtet, die jedenfalls auch Strafsachen bearbeiten. Es ist aber auch für Richter und Staatsanwälte geeignet und nützt auch Referendaren sehr. Jeder Rezensent hat ihm bislang bescheinigt, dass dieses Handbuch ausgezeichnet ist. Zu seinem 70. Lebensjahr ist er mit einer beeindruckenden Festschrift geehrt worden.
Zeitlich reicht die Darstellung von der Übernahme der Verteidigung bis zum Eröffnungsbeschluss des zuständigen Gerichts (der Rest steht dann im anderen Band). Fehler im Ermittlungsverfahren haben oftmals negative Auswirkungen bis in die Hauptverhandlung hinein. Dies ist etwa der Fall, wenn der Betroffene erst nach Zustellung der Anklageschrift “im letzten Stadium” erstmals überhaupt einen Verteidiger bemüht, wovon nicht oft genug abgeraten werden kann. Ebenso wie von zuviel „Redseligkeit“ im Ermittlungsverfahren ohne Verteidiger! Burhoff spricht denn auch schon im Vorwort die maßgebliche Funktion der Strafverteidigung im Ermittlungsverfahren an. Insbesondere in der Kommunikation zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren werden oftmals entscheidende Weichen für den Verlauf der Hauptverhandlung erzielt. Eine Strafverteidigung ist ein kommunikativer Prozess, der allerdings auch kommunikative Verzerrungen enthalten kann. Dieser Kommunikationsprozess zieht sich durch die gesamte Darstellung. Es lässt sich kaum treffender formulieren als der Verfasser es selbst vornimmt: “Fehler, die hier gemacht werden, können, auch wenn der Verteidiger und/oder das Gericht sie noch rechtzeitig vor Abschluss der Hauptverhandlung erkennen, häufig kaum noch berichtigt werden. Deshalb muss der Verteidiger in jedem Strafverfahren im Interesse seines Mandanten schon im Ermittlungsverfahren sowohl die rechtlichen als auch die (verfahrens-) taktischen Besonderheiten kennen und beachten”. Ohne umfassende Aktenanalyse nach Akteneinsicht ist dies nicht möglich. Daher wird der Akteneinsicht in diesem Band ein breiter Raum eingeräumt.
Entsprechend dieser Vorgabe sind die einzelnen Kapitel strukturiert. Sie geben äußerst kompetent und souverän Auskunft über die für die Praxis maßgeblichen Fragen im Dienste der Wahrheitsfindung, als dem Kernanliegen des Strafprozesses. Die einzelnen Kapitel sind dabei so geschrieben, dass auch der Berufsanfänger daraus einen hohen Nutzen ziehen kann. Enthalten sind viele Beispiel, Muster und Praxishinweise, die extrem nützlich sind (ich nutze das Buch selbst seit der 2. Auflage). Diese neunte Auflage stellt in gewisser Hinsicht eine Zäsur dar, weil der Verfasser den Band nicht mehr allein bearbeitet, sondern ein Team geschaffen hat, dass auf Seite IX vorgestellt wird.
Das Werk ist alphabetisch nach Stichworten geordnet, so daß sich gesuchte Informationen leicht auffinden lassen. Etliche Stichworte sind seit der letzten Auflage hinzugekommen. Es wurden fast alle Stichwörter aktualisiert und zum Teil wesentlich erweitert. Das war vor allem im Hinblick auf in Kraft getretene gesetzliche Neuregelungen erforderlich. Insbesondere das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens“ v. 10.12.2019 und das „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ v. 10.12.2019 waren Grund für viele Aktualisierungen, denn diese haben die StPO an vielen Stellen geändert und daher auch im Buch an vielen Stellen zu Änderungen geführt. Zu erwähnen ist dann noch das „Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren“ v. 9.12.2019, das die die sog. Kinderrechte-Richtlinie EU/2016/800 umsetzt. Auch die Änderungen durch das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ sind bereits eingearbeitet. Die Gesetzesänderungen haben zu neuen Stichworten geführt, wie „Automatische Kennzeichenerfassung“, „Beschlagnahme – Zurückstellung der Benachrichtigung/heimliche Beschlagnahme“, „Durchsuchung/Durchsuchung zur Nachtzeit“ und etwa „Verletzer, Begriff“. Alle diese Gesetzesänderungen, die diesen Stichworten korrespondieren, weisen eine erhebliche Grundrechtsrelevanz auf. Vertieft wurden auch die Ausführungen zur Beweiswürdigung, mit erheblichen Ergänzungen.
Neu eingearbeitet wurden 700 seit der Vorauflage abgesetzte Gerichtsentscheidungen, unter Einschluss der Instanzgerichte. Das Werk hat jetzt den Stand von Oktober 2021, aber der Verfasser berichtet unter “Burhoff Online” ständig über aktuelle Entwicklungen. Entfallen sind ab der siebten Auflage das Entscheidungsregister und das Paragrafenregister. Die zitierten Entscheidungen und alle im Band enthaltenden Muster stehen zum Download aus der Datenbank des Verlages bereit (siehe Benutzerhinweise am Ende des Buches).
Neben der Rechtsprechung wird aber auch die Literatur seit der Vorauflage umfassend ausgewertet. Die enge Verknüpfung der Stichworte untereinander sowie die umfangreichen Hinweise auf weiterführende Literatur ermöglichen es dem Nutzer, neue Argumentationslinien zu finden und auf dieser Basis eigene Ideen und Strategien zu entwickeln. Es liegt auf der Hand, dass einer der Schwerpunkte der Neuauflage erneut bei den Verständigungsregelungen liegt, die hier praxisnah mit konkreten Vorschlägen dargestellt werden, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Grenzen, deren Handhabung nicht immer einfach ist.
Die Darstellung ist derartig vielschichtig, dass eine in Einzelheiten sich verlierende Rezension quasi von selbst verbietet. Zu erwähnen ist aber, dass eine der Stärken des Werkes darin besteht, auch äußerst umstrittene Themen fundiert aufzuarbeiten und Perspektiven zu gewinnen für strategische Operationen jenseits eingefahrener Lösungen, wenn es auf der Basis der herrschenden Linie der Rechtsprechung – so es sie jeweils gibt – möglich ist, Handlungsspielräume zu gewinnen. Dies zeigt sich etwa bei der vollständig umstrittenen Frage der Ablehnung eines Staatsanwaltes wegen Befangenheit oder bei Verweigerung einer Akteneinsicht. Jede Neuregelung schafft angesichts des Fehlens von Rechtsprechung durchaus unter Umständen Handlungsoptionen für eine Verteidigung, in den „Grenzen der Interpretation“.
In jedem Kapitel überzeugt der klare, sehr strukturierte Aufbau. Tipps sind stets mit einem “erhobenen Zeigefinger” grau unterlegt hervorgehoben und fallen sofort in das Blickfeld des regelmäßig eiligen Lesers. Sozusagen “Pflichtlektüre” im Zweifelsfalle ist die Darlegung über “Absprachen im Ermittlungsverfahren”. Das Wichtigste wird bei derartig wichtigen Fragen gleich thesenartig vorweg zusammengefasst. Auch hier geben die Verfasser wichtige Tipps für die Strafverteidigung. Interessant sind auch die zahlreichen gebührenrechtlichen Hinweise, die für Anwälte hoch interessant sind. Sehr umfangreiche Hinweise finden sich zum Akteneinsichtsrecht. Etwa bei der Bestellungsanzeige finden sich eingehende Formulierungsvorschläge, die dann auch gleich aus dem Downloadbereich in das Textverarbeitungsprogramm eingespeist werden kann.
Die umfassende Übersicht über Beweisverwertungsverbote lässt sich auch gleich als umfassende Checkliste verwenden. Sehr gut erklärt werden die DNA-Analyseverfahren. Besonders für Strafverteidiger interessant sind die sehr lesenswerten Ausführungen über die Einlassung im Ermittlungsverfahren, der u.U. eine erheblich strafmildernde bis hin zu einer strafausschaltenden Funktion zukommt. Burhoff wägt hier das für und wider auch unter strategischen Gesichtspunkten umfassend ab, da im Falle eines Bestreitens des Anklagevorwurfes ganz oder zum Teil sich erhebliche Risiken für den Angeklagten ergeben können, die umfassend abzuwägen sind. Zu strategischen Fragen finden sich auch hier umfassende Hinweise für den Strafverteidiger. Diesen werden auch die eingehenden Ausführungen zum Stichwort “Honorarfragen” ebenso sehr interessieren wie die Ausführungen zur Pflichtverteidigung. Erfreulicherweise werden die Besonderheiten des Steuerstrafverfahrens eingehend behandelt. Erhellendes findet sich zur immer weiter ausufernden Telefonüberwachung.
Die zahlreichen Formulare und Muster lassen sich mit jedem Textverarbeitungsprogramm aus dem Downloadbereich einlesen und sofort verarbeiten. Die Muster lassen sich auch leicht auf der Festplatte zum öfteren Gebrauch ablegen und – dagegen dürfte wohl nichts sprechen – für besondere Fälle weiterentwickeln.
Die Muster und Checklisten sind vielfältig. Hervor sticht etwa eine Checkliste zur Vorbeugung des Geldwäschevorwurfs, die geradezu eine Warnliste für etwaige Mandatsübernahmen in sensiblen Bereichen der Wahlverteidigung beinhaltet. Aber alle anderen Texte sind nicht weniger interessant.
Hinzuweisen ist ergänzend auf die eingangs genannte Homepage des Verfassers, eine der besten Praktiker-Sites für die Strafrechtspraxis im deutschen Netz, die nicht ohne Grund eine erhebliche Zugriffsdichte aufweist. Die hier bereitgestellten vielfältigen Informationen helfen die Zeit bis zur Vorlage einer Neuauflage zu überbrücken. So finden sich hier auch zahlreiche Aufsätze des Verfassers und Auszüge aus seinen Buchveröffentlichungen, etwa seine regelmäßigen Arbeiten aus der “Zeitschrift für die Anwaltspraxis”. Hinzuweisen ist schließlich auf den Newsletter des Verfassers, der regelmäßig über Änderungen und Aktualisierungen der Homepage wenigstens einmal pro Monat berichtet.
Das Handbuch von Detlef Burhoff und seinen neuen Mitautoren ist nach wie vor die beste Praxisdarstellung für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und wird völlig berechtigt von Auflage zu Auflage mit großem Lob bedacht. Wer dieses vorzügliche Handbuch – wider Erwarten – noch nicht kennt, sollte es unbedingt kennenlernen.