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Rezensionen juristischer Literatur

Eine umfassende Darstellung des Familienrechts

Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 7.Aufl., 2020, C.H.Beck

Eine Rezension zu:

Abbildung von Gernhuber / Coester-Waltjen | Familienrecht | 7. Auflage | 2020 | beck-shop.de

 Joachim Gernhuber/Dagmar Coester – Waltjen

Familienrecht

7., völlig neu bearbeitete Auflage

München: C.H.Beck, 2020, 992 S., 149,00 Euro inkl. MwSt.

ISBN 978-3-406-73131-0

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Das Familienrecht hat seit der Vorauflage aus dem Jahr 2010 erhebliche Veränderungen erfahren, was auch als Reaktion der Politik auf gesellschaftliche Veränderungen zu sehen ist. Die Neuauflage musste daher etliche Reformen seit dem Jahr 2010 nebst den erheblichen Entwicklungen der Rechtsprechung – insbesondere des BGH – etwa im Unterhaltsrecht – einarbeiten. Infolgedessen musste der Text weitgehend neu geschrieben werden. Das Werk konzentriert sich jedoch nicht auf Details, sondern wirft den Blick auf das Ganze, auf die Regelungszusammenhänge und Regelungszwecke, die in der Arbeit am Detail gelegentlich verloren gehen.

Dieses Große Lehrbuch und maßgebliche Standardwerk zum Familienrecht stellt das materielle Familienrecht und dessen Funktions- und Systemzusammenhänge analytisch und umfassend dar. Das Werk zielt – wie schon bisher alle Vorauflagen – darauf ab, ein Lehrbuch zu sein, das zusammenhängend lesbar ist, die bewertende Gestaltung der sozialen Kräfte durch das Recht verdeutlicht, Funktions- und Systemzusammenhänge aufdeckt und einen Einblick in den Entwicklungsprozess des Familienrechts vermittelt. Es zeigt Reformbedarf und mögliche Lösungen auf. Es geht diesem Werk um das Familienrecht in seiner Vielfältigkeit und die Verzahnungen mit anderen Rechtsgebieten – etwa zum Erbrecht und Steuerrecht – und nicht zuletzt um die Wiedergewinnung der Dogmatik, nicht zuletzt im Familienvermögensrecht. Die Darstellung gewinnt überdies durch die Beschränkung auf das Wesentliche, so dass Nachweise gekürzt und manche Detailfragen ausgeblendet wurden. Leider konnten auch rechtsvergleichende und rechtshistorische Ausführungen nicht aufgenommen werden, die sich aber für Grundlagenfragen noch in den ersten vier Auflagen teilweise finden.

Angesichts der erheblichen Änderungen ist das Werk in großen Teilen neu strukturiert und formuliert worden, aber der „Gernhubersche Geist“ des Begründers des Bandes im Sinne einer kritischen Hinterfragung von Lösungen ist erhalten geblieben. Das Familienrecht ist ohnehin einer jener Bereiche in denen der Gesetzgeber alle Jahre Experimente vornimmt, deren kritische Hinterfragung erforderlich ist. Alle seit dem Jahre 2010 erfolgten Gesetzesänderungen unter Einschluss des Versorgungsausgleichs sowie eine Auswahl von Literatur und Rechtsprechung seit der Vorauflage sind in dieses Standardwerk eingearbeitet worden. Großer Wert wurde auf eine eingängige und anschauliche Darstellung und eine klare Sprache gelegt.

Die 7. Auflage bringt das Werk insgesamt auf den aktuellen Stand von November 2019 und berücksichtigt u.a. folgende Reformgesetze:

  • Gesetz über die gleichgeschlechtliche Ehe und die daraus folgenden gesetzlichen Anpassungen
  • Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen
  • Abkommen zur Einführung des Güterstands der Wahlzugewinngemeinschaft
  • Schutz gegen freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern und gegen Zwangsbehandlung Betreuter
  • Regelungen zur ärztlich unterstützten Befruchtung einschließlich des Samenspenderregisters
  • Reformen im Unterhaltsrecht sowie die Entwicklung der Rspr. des BGH in diesem Bereich.

Grundsätzlich enthält jede Neuauflage dieses Bandes eine Art gedankenreicher Bestandsaufnahme des jeweiligen Zustandes des Familienrechts im Jahr des Erscheinens. Darüberhinaus haben alle Auflagen dieses Bandes durch fundierte dogmatische Kritik zum Nachdenken angeregt und gleichzeitig auch zum Überdenken der jeweils aktuellen Lösungsmodelle, mit Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen und die sozialen Hintergründe. Auch in dieser Auflage mussten entscheidende Schwerpunkte gesetzt werden, so dass Rechtsprechung und Literatur nur in einer Auswahl zitiert werden können. Es ist aber auch nicht der Sinn eines solchen Lehrbuches die Inhaltsangabe einer Datenbank wieder zu geben.

Der Band setzt ein mit einer Darstellung der “Allgemeinen Lehren”, worunter auf der einen Seite die Stellung der Familie im Gesellschaftsystem gefasst wird, auf der anderen Seite aber auch die notwendigen verfassungsrechtlichen Herleitungen vorgenommen werden, unter Einschluss einer interessanten Diskussion des Gleichberechtigungsgrundsatzes und der Wirkung der Grundrechte im Familienrecht, die sich auch und gerade in der  Statuierung von Schutzzonen wie im Gewaltschutz ausdrückt. Angesichts der erheblichen Veränderungen der Blickrichtungen in den letzten zehn Jahren wurde die gleichgeschlechtliche Partnerschaft als familienrechtliches Institut intensiver als bisher behandelt und dementsprechend wird auch der Diskriminierungsschutz und der gesetzliche Anspruch auf Nichtdiskriminierung in § 7 detaillierter erörtert.

Der zweite Abschnitt behandelt die Ehe umfassend, beginnend mit der Eheschließung und ihrem Vorfeld. Ausführlich wird diskutiert, wann eine geschlossene Ehe ohne Scheidung wieder aufgehoben werden kann und wie sich die Konkurrenz zwischen Scheidungs- und Aufhebungsbegehren gestaltet. Sehr eingehend wird neben den zivilrechtlichen Ehewirkungen das Thema “Freiheit und Bindung” in der Ehe behandelt, die keineswegs dazu führen darf, das der jeweilige Partner seine individuelle Autonomie verliert. Die Generalklausel des § 1353 BGB ist daher ihrerseits im Lichte der Grundrechte auszulegen. Es liegt auf der Hand, dass ein Schwerpunkt auf dem Ehescheidungsrecht liegt, wobei erfreulicherweise auch die Vertragsgestaltung in die Darstellung einbezogen wird, indem Ehe – und Scheidungsverträge sehr eingehend behandelt werden. Solche Vereinbarungen können viel zur Rationalisierung einer Scheidung oder Trennung beitragen. Dem Bereich des ehelichen Vermögensrechts bei der Scheidung wird eingehend nachgegangen, indem auch das Ehegüterrecht in seinen aktuellen Entwicklungen transparent gemacht wird.

Wesentlich intensiver als bisher wird auf andere Lebensgemeinschaften eingegangen, insbesondere auf die eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft, nach deren Einführung und Ausweitung der von manchen befürchtete Untergang des Abendlandes ausgeblieben ist. Eingegangen wird auch näher auf die gesetzlich ungeregelten, rechtlich problembeladenen, faktischen Lebensgemeinschaften mit den ganzen Schwierigkeiten einer Lösung der Kernprobleme einer Beendigung auf der Basis der Geschäftsgrundlage. Dieses Kapitel zeigt sehr plastisch wie Lösungsmodelle dogmatisch hinterfragt werden können.

Die Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation des nachehelichen Unterhalts ist erneut im Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit ungemein interessant zu lesen, besonders der Abschnitt über “Billigkeit”, insbesondere zu § 1579 BGB und die “Bedürftigkeit” als Voraussetzungen jeden Unterhaltsanspruches eines Ehegatten. Sehr ausführlich werden zudem die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich und beim Kindesunterhalt dargestellt.

Der V. Abschnitt enthält das Kindschaftsrecht und das Abstammungsrecht und sicher eine der eingehendsten Analysen des Eltern- Kind – Verhältnisses unter rechtlichen Aspekten, wobei auf den Kindesschutz als Grenze der Ausübung des Sorgerechts eingehend eingegangen wird. Nach wie vor sehr lesenswert sind die Ausführungen zum Adoptionsrecht und zum Vormundschaftsrecht.

Dieser Band bietet eine überaus kritische Analyse des geltenden Rechts, bei hoher wissenschaftlicher Durchdringung der Materie auf aktuellem Stand, in einer sehr verständlichen Darstellung, die erneut das maßgebliche Standardwerk für Studium, Wissenschaft und Praxis darstellt.

Mit dieser Auflage liegt nach zehn Jahren endlich wieder eine sehr gedankenreiche, systematische und kritische Darstellung des gegenwärtigen Familiensrechts vor.

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