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Rezensionen juristischer Literatur

Europa: In Vielfalt vereint?

Kirchhof / Keller / Schmidt (Hrsg.), Europa: In Vielfalt geeint! – 30 Perspektiven zur Rettung Europas vor sich selbst, 2020, C.H.Beck

Eine Rezension zu:

Abbildung von Kirchhof / Keller / Schmidt | Europa: In Vielfalt geeint! | 2020 | 30 Perspektiven zur Rettung Eu...

Gregor Kirchhof / Mario Keller / Reiner Schmidt (Hrsg.)

Europa: In Vielfalt geeint!

30 Perspektiven zur Rettung Europas vor sich selbst

– in Kooperation mit der Münchener Europakonferenz e.V. –

Einzeldarstellung

München: C.H.Beck, 2020. Buch. XVII, 519 S. Hardcover, 129,00 Euro inkl. MwSt.

ISBN 978-3-406-74519-5

Der Band mit interessanten 30 Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven zur Rettung Europas vor sich selbst, geht von dem Befund aus, dass das „Projekt Europa“ in Gefahr geraten, wozu insbesondere die Regierung Frankreichs interessante Analysen und Vorschläge vorgelegt hat. Hinzukommen deutliche politische Tendenzen die Europäische Union zu zerstören, etwa indem „Brexit“ Nachahmer findet. Der Brexit selbst ist aber bereits ein Krisensymptom schlechthin.
 
Die europäische Integration hat den Europäern ein bislang unerreichtes Maß an Frieden, Freiheit, Wohlstand und innerer Einigung gebracht. Diese historischen Errungenschaften sind – aus sehr vielfältigen Ursachen – gegenwärtig in Gefahr geraten. Die Zerstörung der EU kann keine Perspektive sein, daher mehren sich die Stimmen für eine Rettung durch Reform und Anpassungsleistungen. Dazu wäre es aber erforderlich ein neues europäisches Kapitel aufzuschlagen, dass insbesondere auch die Problematik der Regionen einbezieht und Differenzen anerkennt und lösbar macht. Dies wirft die Frage auf, wa das Europäische an Europa ist und wie man dies absichern kann.
Die in diesem Band versammelten 30 Beiträge beruhen auf einem Forschungsprojekt der Münchener Europa Konferenz, das die Themen der Konferenzen dieser Organisation weiter führt. Die Unterschiede in den Mitgliedstaaten – mit teilweise schwierigen Binnendifferenzierungen in den Staaten selbst – führen zu sehr unterschiedlichen Erwartungshaltungen, die oftmals zu wenig zufriedenstellenden politischen Kompromissen führt und eine Rechtsordnung geschaffen hat, die komplexer kaum gestaltet werden könnte. Der Wille zu vertieften Integrationsleistungen ist zwar weitgehend vorhanden, aber es fehlen zündende Ideen und der Mut Neuland zu betreten. Die Fliehkräfte haben zugenommen und die aktuelle Bedrohung durch biologische Entwicklungen verschärft die Unsicherheiten. Dabei liegt dem Vertrag von Lissabon mehr oder weniger ein Modell der sozialen Marktwirtschaft zugrunde, dass weltweit Modellcharakter haben könnte. Dies alles findet im Umfeld von Risikosituationen statt, die kein Staat Europas allein meistern kann.
Vor diesem Hintergrund enthält der interessante Band 30 Einschätzungen und Beschreibungen der Problemsituationen, die Schwerpunkte setzen, ohne Vollständigkeit auch nur anbieten zu können. Die Ideen wurden auf einem Kolloquium Ende Juni 2019 in München diskutiert. Auf der Suche nach den verbindenden unternehmen es sechs Autoren am Ende des Bandes in einem gemeinsamen Beitrag diese Verbindungslinien zu entwerfen.
Dieses neue Werk vereint 30 europäische Stimmen aus Politik, Jura, Wirtschaft, Geschichte, Religion und Philosophie. Zentrales Anliegen des Bandes ist es, Europa aus seiner Identität, dem europäischen Menschenbild und dem einzigartigen Charakter als Staatengemeinschaft, zu erneuern. Die Europäische Union muss neue Aufgaben übernehmen, gleichzeitig aber die Mitgliedstaaten stärken.
Im Kern vertreten die Autoren die Auffassung, dass die Union sich wieder mehr auf ihre Gründungsideen besinnen muss: auf die Rechtsgemeinschaft, den Binnenmarkt, die Währungsunion und die Solidarität in ihren rechtlichen Grenzen, die begrenzte Einzelermächtigung, die Subsidiarität, die Richtlinie. Dazu müsste aber auch Komplexität reduziert werden. Das europäische Vertragsrecht weist hier einen verbindlichen Weg.
Die Beiträge sind thematisch geordnet und beginnen mit dem Thema „Mitgliedstaaten“, wobei Probleme der Staaten Italien, Slowakei, Spanien, Ungarn und United Kingdom herausgegriffen werden, um die Idee eines föderalen Europas stärker zu akzentuieren. Die Beiträge zeigen deutliche Unterschiede in der Betonung einer starken nationalen Souveränität in einem Staatenverbund als einer europäischen Allianz konstitutioneller Staaten vs. einer förderalen Union als einer Art Bundesstaat Europa.
Der zweite Schwerpunkt liegt bei den Organen der Europäischen Union, also EuGH, Kommission, Parlament und Rat, mit einem Beitrag, der fragt, wie Europa vor sich selbst zu retten ist und hierzu Vorschläge unterbreitet.
Der dritte Schwerpunkt liegt bei den europäischen Institutionen und setzt breit an: über die Europäische Union selbst, wird das Konzept der Nationalstaaten hinterfragt, ebenso die Rolle der Parlamente und der Funktion der Regionen als Nutzung eines ungenutzten Potentials. Ebenso werden Aspekte der Sicherheitspolitik reflektiert und die Funktionen der Austritts- Szenarien hinterfragt. Auch die Unternehmensperspektion, Fragen der Währungspolitik und Zukunftsszenarien werden thematisiert.
Im vierten Schwerpunkt geht es um die Weltmächte und den Nahen Osten, insbesondere um die Rolle Chinas, die Rolle Russland, dem Verhältnis zu den USA und Perspektiven für eine Befriedung des Nahen Ostens. In Teil V geht es um unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen, während Teil VI unter dem Titel „Europa in Vielfalt vereint“ Vorschläge zu konkreten Verbesserungen macht, etwa zu Deregulierung und Digitalisierung, neuen Kompetenzen der Mitgliedstaaten, den Ausbau des Prinzips der Einzelermächtigung und etwa neue Initiativrechte für Rat und Parlament.
Der interessante Band analysiert die Problemezonen der Europäischen Union aus unterschiedlichen Perspektiven und zeigt Möglichkeiten für die Zukunft auf.
Herausgegeben von Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL.M., Mario Keller, Mitglied des Vorstands der Münchner Europa Konferenz e.V. und Prof. em. Dr. Reiner Schmidt, in Kooperation mit der Münchner Europa Konferenz. Die Autor(inn)en sind hochrangige Persönlichkeiten europäischer und nationaler Institutionen, Diplomaten, Politiker und Professoren aus den Rechts- und Politikwissenschaften, der Ökonomie, Geschichte, Theologie und Philosophie.

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