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Rezensionen juristischer Literatur

Gierig handeln und moralisch urteilen?

Otto-Peter Obermeier, Moralisch fühlen, gierig handeln?, Erstauflage, der blaue Reiter, 2019

Eine Rezension zu:

Otto – Peter Obermeiner

Moralisch fühlen, gierig handeln?

Zur Aktualität von Adam Smiths “Theorie der moralischen Gefühle”

Erstauflage

Stuttgart: der blaue reiter, 2019, 504 S., 29,90 Euro inkl MwSt.

ISBN 978-3-933722-65-2

www.verlag-derblauereiter.de

Die interessante Veröffentlichung erinnert an das Werk eines Klassikers des theoretischen Wirtschaftsliberalismus, als dessen Begründer Adam Smith (1723 – 1790) auch gilt. Der schottische Autor verfasste zwei berühmte Hauptwerke, zum einen ” The Theory of Moral Sentiments” (1759) and “An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations” (1776). Bereits das erste Buch des damaligen Professors für Moralphilosophie wurde damals zu einem Erfolg, ist aber heute weitgehend vergessen.

Das Werk befasst sich mit der menschlichen Natur und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft. Ganz im Sinne der europäischen Aufklärung war Smith der Auffassung, dass nicht eine höhere Instanz, sondern der Mensch selbst sein Glück herstellen muss und sich selbst Schranken setzt, die überwunden werden können. Es geht dabei auch darum, wie sich zwischenmenschliche Beziehungen bilden, die es erlauben, dass eine Gesellschaft funktioniert, statt auseinanderzubrechen oder zu implodieren, wie Vargas Llosa einmal zusammen gefasst hat. Kurz gesagt, handelte es sich um eine umfassend ausgearbeitete Ethik für eine liberale und aufgeklärte Gesellschaft, basierend auf fast empirisch zu bezeichnenden Beobachtungen menschlichen Verhaltens.

Adam Smith, einer der maßgeblichen Protagonisten der schottischen Aufklärung, thematisiert in seiner Ethik nicht nur die akzeptierten Gefühle, Neigungen und Affekte, sondern auch all die Perversionen und Verdrehungen, die menschliches Fühlen begleiten und so unser Handeln bestimmen und auf diese Art ein realistisches Konzept seiner Ethik zugrunde legt.

Das neue Buch eines ausgewiesenen Kenners dieses Autors macht die Gedanken von Smith, als eines genialen Illustrators menschlicher Gefühle, für einen neuen ethischen Ansatz fruchtbar, für eine Gesellschaft, die das Problem der Gier in den Griff bekommen sollte und dazu eines realistisch – pragmatischen Ansatzes bedarf.

Der Ansatz von Smith war ausgesprochen pragmatisch, zeigte aber bereits damals Paradoxien auf, die sich heute in Gestalt von “Hypes” immer wieder zeigen. Smith Thema war durchaus auch die kritiklose Bewunderung der Reichen, Schönen und Mächtigen als Selbstbetrug vor einer Gefährdung der Stabilität gesellschaftlicher Entwicklungen. Betont werden die edlen Motive, in Wirklichkeit zählt nur der Erfolg. Smith beschreibt in einem Frühstatium bereits die Tücken, Bruchlinien und Verwerfungen des Liberalismus.

Adam Smiths Theorie der ethischen Gefühle ist nicht nur eine Fundgrube für individualpsychologische Einsichten, sondern auch für sozialpsychologische, philosophische und politische Ansätze. Diese Einsichten sind aktueller, wirklichkeitsnäher, nützlicher und menschlicher als so manches „moralinsaure“ Gesülze rein akademischer Ethiken, wie der Verfasser treffend schreibt.

Das Werk führt ausführlich und jederzeit verständlich in das Denken des im deutschen Sprachraum sträflich vernachlässigten Philosophen ein und diskutiert dessen Thesen im Detail. Hierzu setzt die Darstellung breit an und entwickelt zunächst eine Mini – Biographie des Verfassers und rekonstruiert sein Umfeld in Schottland zwischen Glasgower Aufklärung und dem Bildungsbürgertum von Edinburgh bis hin zur Berufung zum Professor für Moralphilosophie und seiner weiteren Biographie, über die nicht übermäßig viel bekannt ist.

Im dritten Kapitel werden die Fundamente der Ethik von Smith rekonstruiert, die letztlich eine implizite Kommunikationstheorie enthält und das Prinzip Angemessenheit entwickelt in Abgrenzung von Gesinnungsethik und Konsequenzenethik, aber möglicherweise nicht hinreichend trennt zwischen Ethik und Moral. Im Rahmen der Erörterung des Verhältnisses von Moral und Ökonomie wird auch das realistische Konzept des Egoismus von Smith – das die englische Philosophie sehr beeinflusst hat, etwa John Stuart Mill – ebenso verortet wie dessen interessantes Verständnis von Sympathie für das Gelingen zwischenmenschlicher Kommunikationen.

Die moralischen Parameter in der Ethik von Smith werden in mehreren Kapitel im Detail untersucht, so auch dessen Verständnis von Schuld, Verdienst und Strafe ebenso wie die moralische Eigenbeurteilung, wozu auch eine Betrachtung der menschlichen Eitelkeiten zählt. Alles dies spielt auch in der digitalisierten Informationsgesellschaft noch eine erhebliche Rolle, sofern man nicht jede moralische Beurteilung an die Ingenieure der Digitalisierung delegieren möchte.

Die Untersuchung erfolgt infolgedessen nicht ohne aktuelle Bezüge. Daher wendet sich das Kapitel IX der Frage zu, was sich aus dieser Ethik für die Gegenwart lernen lässt. Hierzu wird die Ethik von Smith mit bestehenden Morallehren konfrontiert, so etwa mit den Morallehren von Platon, Aristoteles, der Stoa und zeitgenössischen Morallehren des 17. und 18. Jahrhunderts, die heute kaum mehr bekannt sind und natürlich den Morallehren von Hume, allerdings nicht mit zeitgenössischen Moraltheorien unserer Zeit, etwa hinsichlich des Verhältnisses von Moral und Handlungsbewusstsein. Auf der anderen Seite ignorieren diese modernen oder postmodernen Moralphilosophien Smith ziemlich deutlich. Die Vermeidung von “Treulosigkeit und Falschheit” ist eines der Ziele dieser Ethik für aufgeklärte Menschen.

Die Kernbotschaften werden im letzten Kapitel zusammen gefasst. Dieses Kapitel beschäftigt sich unter anderem mit dem Problem der Ethik, als einem möglicherweise wunschgetriebenen Märchen, zu dem es letztlich zahlreiche antiethische Gegenentwürfe gibt, die aber alle irgendwie ethisch argumentieren müssen und die Notwendigkeit von Illusionen und moralischen Urteilen auf der Basis des menschlichen Urteilsvermögens nicht völlig obsolet mchen können.

Das Buch ist eine interessante Lektüre für alle an Ethik und der Theorie des menschlichen Zusammenlebens Interessierten.

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