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Rezensionen juristischer Literatur

Handkommentar zur ZPO 2021

Saenger, (Hrsg.), ZPO, 9. Aufl., 2021

 

 Eine Rezension zu:

978-3-8487-7116-5

 Ingo Saenger (Hrsg.)

ZPO

Handkommentar

Familienverfahren/Gerichtsverfassung/Europäisches Verfahrensrecht

9. Auflage

Baden-Baden: Nomos-Verlag, 2021, 3480 S., 128,00 Euro inkl. MwSt.

 ISBN 978-3-8487-7116-5

www.nomos-shop.de

Spätestens seit 2002 ist die ZPO zu einem gesetzgeberischen Experimentierfeld geworden, unter anderem auch unter dem Blickwinkel der Digitalisierung der Justiz. Hinzukommt ein Verdrängungsprozess in Teilbereichen, soweit die EuGVVO und weitere Europäische Prozessrechtsnormen zur Anwendung kommen, die in vielerlei Hinsicht von der ZPO abweichende Regelungen enthalten. Auch das Zivilprozessrecht wird immer europäischer und immer internationaler. Das Anliegen dieses bewährten Handkommentars ist die Schaffung von Orientierung in einem Prozess weiter zunehmender Unübersichtlichkeit, indem das geltende Zivilprozessrecht kompakt in einem Band erläutert wird. Daher wird hier nicht nur die ZPO kommentiert, sondern auch das FamFG, Teile der Gerichtsverfassung sowie das relevante Europäische Zivilprozessrecht, ganz im Sinne einer „vernetzten Kommentierung“. Der Leser findet hier alle relevanten Informationen in einem kompakten Band, in nunmehr neunter Auflage.

Ein Handkommentar kann und soll einen Großkommentar nicht ersetzen, sondern soll Antworten für die tägliche Arbeit mit dem Zivilprozessrecht bieten, so dass die Strukturen und praktische Lösungsansätze im Vordergrund stehen. Allerdings finden sich auch zahlreiche Formulierungshilfen. Vollständigkeit wird nicht angestrebt. Der Kommentar findet mit guten Gründen seit der Erstauflage erheblichen Zuspruch, was sich durch das sehr nützliche Formularbuch noch steigert, das zum “Begleiter” des Kommentars geworden ist. Der „Saenger“ stellt seine Klasse vo Auflage zu Auflage mit seiner zuverlässigen, akribischen Überarbeitung und Aktualisierung für den ständigen Gebrauch unter Beweis. Keine wichtige Gesetzesänderung, Entscheidung und Rechtsentwicklung bleibt unbeachtet – nicht umsonst ziehen ihn auch der BGH und die Oberlandesgerichte diesen Kommentar oft heran.

Die Neuauflage
• legt besonderes Augenmerk auf die erneut verfeinerte Gesetzgebung zum elektronischen Rechtsverkehr – elektronische Akte, beA und weitergehende Strukturierung des Zivilprozesses
• berücksichtigt die Änderungen durch datenschutzrechtliche Bestimmungen und die Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen und zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie die neuen Bemessungsgrundlagen für PKH und Verfahrenskostenhilfe, vertieft wurden die Erläuterungen zur Musterfeststellungsklage

• stellt die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Gerichtspraxis dar
• behandelt vorausschauend auch kommende Rechtsentwicklungen wie das Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz – PKoFoG.

Der „Saenger“ ist längst ein Markenzeichen. Der Kommentar schafft es die Qualität von Auflage zu Auflage weiter zu steigern, wofür eine zuverlässige und akribische Überarbeitung und Aktualisierung stehen, die keine wichtige Gesetzesänderung, Entscheidung und Rechtsentwicklung unbeachtet lässt. Die hier erläuterten Rechtsnormen stehen mit der Rechtsprechung online in einer Datenbank zur Verfügung, deren Zugangsdaten sich auf den Innenseite des Schutzumschlages finden und deren Nutzung im Preis inbegriffen ist.

Selbstverständlich berücksichtigt die 9. Auflage erneut die aktuellen Entwicklungen bei der Musterfeststellungsklage, zu es inzwischen eine Reihe von BGH – Urteilen gibt, die hier ausgewertet werden. Durch das Gesetz zur Einführung einer Musterfeststellungsklage waren ab dem 01.11.2018 die neuen §§ 606-614 ZPO anzuwenden. Mit dieser Regelung erhalten Verbraucherschutzverbände die Befugnis, kollektiv zugunsten betroffener Verbraucher grundsätzliche Klärungen von Rechts- und Tatsachenfragen herbeizuführen. Verbraucher können sich insoweit registrieren, sind aber keine Verfahrensbeteiligten, aber die Entscheidung später in einem individuellen Entschädigungsverfahren nutzen. Die Neuauflage berücksichtigt die Neuregelungen etwa zu Klagebefugnis, Zuständigkeit, Rechtskraftwirkung der gebündelten Klagen mit allen derzeit bekannten Anwendungsproblemen.

Die besondere Praxisnähe war immer ein Vorteil dieses Kommentars, der aber mit dieser Neuauflage mit noch mehr Kosten- und Verfahrenshinweisen sowie Formulierungshilfen aufwartet. Der Praktiker findet sich anhand der A-Z-Rechtsprechungsübersichten (z.B. zu Wertvorschriften und Wiedereinsetzungsgründen) schnell zurecht. Die systematische und verständliche Einbeziehung des europäischen Zivilverfahrens- und Vollstreckungsrechts erspart den Blick in andere Spezialwerke. Eingegangen wird auf den zwischenzeitlich weitgehend vollzogenen Brexit und dessen Auswirkungen auf den deutschen und europäischen Zivilprozess.

Die Kommentatoren haben den Kommentar im Bereich der europarechtlichen Materien mit zivilprozessualer Relevanz erneut erheblich erweitert, besonders im Familienrecht. So etwa im Bereich der Durchführung der EG – Verordnung auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts und in weiteren Bereichen. Besonders intensiv eingearbeitet werden die sich durch die ab dem 29.02.2019 geltend EheGüVO ergebenden Änderungen.

Die jeweiligen Kommentierungen folgen einem einheitlichen Aufbau, der aber nicht als starres Schema zu verstehen ist. Zunächst wird die Funktion der jeweiligen Norm herausgearbeitet, so dann die Tatbestandsmerkmale erläutert, um schließlich Sonderprobleme zu erörtern, auch etwa unter Kostengesichtspunkten, die durchgehend berücksichtigt werden.  Dabei wird nicht jeder kasuistischen Verästelung nachgegangen, sondern es geht um die für die Praxis wesentlichen Aspekte.

Im Zentrum des Kommentars steht immer noch ZPO. Die Kommentierungen überzeugen – nach entsprechenden Stichproben – insbesondere durch klare Erläuterungen der Problembereiche. So wird etwa § 87 ZPO für den Anwaltsprozess auch mit seinen Folgerungen für das Kostenfestsetzungsverfahren transparent dargestellt. Die Kommentierung des § 91 a ZPO beschränkt sich in der Tat auf das praktisch Wesentliche. So wird herausgestellt, dass § 91 a ZPO im Stadium zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit keine Anwendung findet und insoweit lediglich die Kostenfolge des § 269 a III ZPO eintreten kann. Sehr lesenswert sind etwa auch die Ausführungen zum Zustellungsrecht, etwa auch die Ausführungen zum “Leiter” bei § 170 III ZPO.

Sehr gut erklärt werden die Möglichkeiten und Grenzen eine Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 331 a ZPO zu beantragen, wobei der kluge Rat gegeben wird, einen solchen Antrag immer mit der hilfsweisen Beantragung eines Versäumnisurteils zu verbinden. Die Neigung gerade der Amtsgerichte von dieser Norm Gebrauch zu machen, scheint zu steigen, nicht immer zum Wohle der Rechtssuchenden. Die Möglichkeiten der Zurückweisung der Berufung nach § 522 ZPO in der geänderten Fassung werden preaxisnah erläutert. Bei der Erörterung des Berufungsrecht wird im Rahmen der Kommentierung des § 529 ZPO intensiv erörtert, in welchem Umfang neuer Tatsachenvortrag zulässig ist, insbesondere wenn ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils erster Instanz bestehen. Angesichts der Covid19-Krise ist die Bedeutung des § 128 a ZPO deutlich gestiegen, so dass auch diesen Entwicklungen nachgegangen wird. Nicht weniger sorgfältig werden der Familiengerichtsprozess und das Zwangsvollstreckungsrecht erörtert, für das es allerdings im Verlag ein eigenes Kommentar – Paket gibt.

Besonders erfreulich ist angesichts ständig steigender Bedeutung die intensive Kommentierung der EuGVVO. Da der Art. 5 EuGVVO in der Praxis eine hervorgehobene Rolle spielt, wird dessen Anwendungsbereich präzise analysiert, zumal hier etwa bei Ziff. 1 b) noch erhebliche Auslegungsprobleme im Grenzbereichen bestehen. Da die EuGVVO Gerichtsstände enthält, die der ZPO (noch) teilweise unbekannt sind, werden diese Normen intensiv analysiert und die Abweichungen zum deutschen Recht herausgearbeitet. Wenig klar ist in diesem Zusammenhang die Regelung des Art. 31 EuGVVO zum einstweiligen Rechtsschutz, der letztlich nur Zuständigkeitserweiterungen enthält, die auch deutlich herausgearbeitet werden. Präzise behandelt werden die Probleme des europäischen Vollstreckungsrechts mit den Änderungen in 2014 und 2015. Ingesamt lässt sich sagen, dass die europäische Perspektive in diesem Kommentar intensiv verfolgt wird, so dass der Kommentar im europäischen Zivilprozessrecht von hohem Nutzen ist.

Der vorzügliche Handkommentar ist einer der interessantesten Kommentare zur ZPO, nicht zuletzt, weil er aktuellen Entwicklungen intensiv nachspürt, sie auf ihre Praxisrelevanz untersucht und sich der europäischen Perspektive intensiv verpflichtet fühlt.

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