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Rezensionen juristischer Literatur

Unbeobachtete Fahrt für freie Bürger?

Stiftung Datenschutz (Hrsg.), Datenschutz im vernetzten Fahrzeug, ESV, 2020

 

Eine Rezension zu:

Datenschutz im vernetzten Fahrzeug –

Datenschutz im vernetzten Fahrzeug


Herausgegeben von der Stiftung Datenschutz

Berlin: ESV, 208 Seiten, 14,4 x 21 cm, fester Einband, 44,00 Euro inkl. MwSt.
Mit einem Geleitwort von Bundesminister a.D. Gerhart R. Baum
ISBN 978-3-503-18754-6

Die STIFTUNG DATENSCHUTZ wurde 2013 von der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung des Datenschutzes eingerichtet. Die Bundesstiftung dient als Informationsplattform zur Umsetzung des Datenschutzrechts und als Diskussionsplattform zur Datenpolitik. Sie agiert als Bindeglied zwischen Datenschutzaufsicht und Unternehmen und bringt Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft und bringt Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen. In diesem Zusammenhang veranstaltet sie regelmäßig Tagungen und Konferenzen deren Ergebnisse in einer eigenen Schriftenreihe dokumentiert werden. Die Schriftenreihe heißt „DatenDebatten“ und nunmehr ist der vierte Band dieser Schriftenreihe erschienen, der sich mit einem datenschutzrecht sehr wichtigen und interessanten Thema beschäftigt, das in 12 Beiträgen aus unterschiedlichen Blickwinkeln datenschutzrechtlich in Verbindung mit den verwendeten Technologien untersucht wird.

Fahrzeuge sind heute mehr und mehr fahrende Computer. Jedenfalls könnten sie ohne Prozessoren, Chips, Internetanbindung und weiteren Elementen aus der Digitaltechnik kaum mehr bewegt werden. Für viele – in den USA ist dies verbreiteter als in Europa – ist das eigene Fahrzeug ein privater Rückzugsort und individuelles Bewegen des Fahrzeuges ein Element der Freiheit. Diese Freiheit wird zunehmend mit einer Fahrzeug – Computertechnologie kontrastiert, die einen hohen Grad an Vernetzung aufweisen. Wieder einmal geht es um die Vereinbarkeit der Freiheitsgrundrechte mit Eingriffen in diese Freiheit aus der digitalen Welt in Verbindung mit datenschutzrechtlichen Fragestellungen, die grundrechtskonform gelöst werden müssen. Das Geleitwort greift die Problematik auf, ob der Fahrzeugführer noch der Souverän seiner Daten im Fahrzeug ist.

Unter sehr unterschiedlichen Aspekten beschäftigen sich die 12 Beiträge mit der informationellen Selbstbestimmung im Fahrzeug, wenn immer mehr Systeme im Fahrzeug mit externen Einrichtungen zur Datenspeicherung und Datenauswertung verbunden sind, die teilweise sehr weitreichend sind. Es geht nicht zuletzt um die Kontrolle der fahrzeugführenden Person und deren Kontrolle über Datenströme und Datenanalysen Dritter. Dabei geht es auch um die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben durch die Hersteller. Zentral ist auch die Frage, ob die Daten personenbezogen erhoben werden müssen, was eine entsprechende Einwilligung erfordert und welche Datenflüsse auch anonymisiert erfolgen können. Zwischen Innovation und informationeller Selbstbestimmung lauern hier schwerwiegende Rechtsprobleme.

Wie sich Sicherheitsgewinne und Komfort des vernetzten Fahrens mit dem Grundrechtsschutz der Fahrenden vereinen lassen, beleuchtet der neueste Band der DatenDebatten, der Expertenbeiträge über das gesamte Spektrum beteiligter Perspektiven enthält:

  • Datenverarbeitung im Auto – Verratene Fahrer oder verhinderte Autoindustrie? (von Klaus Alpmann)
  • Datencrash im vernetzten Verkehr (von Bruno Baeriswyl)
  • Wozu braucht Mobilität eigentlich Daten? Bestandsaufnahme und Mobilitätsdatenvision 2030 (von Roland Goetzke und Christopher Kaan)
  • Datenschutz bei der Fahrzeugentwicklung – Was hat der Datenschutzbeauftragte mit „Design“ zu tun? (von Sebastian Greß und Florian Springborn)
  • Die Digitalisierung der Automobilindustrie (von Manfred Heiss)
  • Datenzugang und Datenschutz im vernetzten Fahrzeug: eine ökonomische Perspektive (von Wolfgang Kerber und Daniel Gill)
  • Das vernetzte Auto (von Michael Kiometzis)
  • Datenschutz im vernetzten Fahrzeug (von August Markl)
  • Neutrale Server – Datenschutz und Datenwirtschaft im vernetzten Fahrzeug (von Jakob Metzger und Lena Mischau)
  • ‚Neutraler Server‘ für Fahrzeugdaten: Garant für Datenschutz und Datensicherheit am Beispiel des Fahrmodusspeichers (von Julius Reiter, Olaf Methner, Bénédict Schenkel und Sarah Kinzler)
  • Vernetztes Fahren: Das Ende der Privatsphäre? (von Matthias Schubert, Günter Martin und Udo Scalla)
  • Der smarte Beifahrer – Generali Mobility als Lebensbegleiter der Kunden (von Andrea Timmesfeld, Jeanette Anneser, Jakob Cremer, Sebastian Rudrich und Bernd Wagner)

 

Es ist kein Geheimnis dass aus der Sicht der technischen Fortentwicklung Datenschutz wenigstens teilweise als Innovationsbremse gesehen wird. Um die Problematik insgesamt zu verstehen, muss erkannt werden, welche Datenverarbeitungsprozesse zwischen Dritten und dem Fahrzeug vorhanden sind, welche erforderlich sind und welche ggf. entbehrlich sind.

Wie der zweite Beitrag treffend formuliert ist Datenschutzrecht Technikfolgenrecht und beruht in einem erheblichen Bereich auf Technikfolgenabschätzung in einer Phase, die von einem Individualverkehr zu einem Kollektivverkehr führen wird, in dem das Fahrzeug Bestandteil der Verkehrsinfrastruktur ist. Der dritte Beitrag – die Beiträge sind inhaltlich gut aufeinander abgestimmt – wirft die zentrale Frage auf, wozu Mobilität eigentlich Daten braucht und welche Datenaustauschplattformen bereits existieren.

Der vierte Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema der Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben im Herstellungsprozess, da die neueren Fahrzeuge zwangsläufig als vernetzte Fahrzeuge geplant werden mussten, so dass diese Fragen zum Design gehören. Die heutigen Fahrzeuge machen Fahrern über den Einsatz von KI durchaus Vorschläge zur Optimierung des Fahrweges, der Fahrtechnik und anderen Bereichen, was den Zugriff auf Fahrzeugdaten voraussetzt und längst für den Fahrmodusspeicher in § 63 a StVG geregelt ist. Dies leitet über zu einem Beitrag über die Digitalisierung der Autoindustrie insgesamt, der entscheidende Grundsatzfragen stellt, auch und gerade im Hinblick auf die Schaffung zentraler Datenaustauschplattformen mit hohen Sicherheitsstandards. Der folgende Beitrag geht der Frage nach wie und welche Daten im Ökosystem vernetzten Fahrens verwendet werden und wie sich die Datengovernance darstellt.

Der nächste Beitrag geht auf das zentrale Thema „Das Auto im Netz“ ein und geht dabei insbesondere auf die beiden zentralen Aspekte der Nutzung weit gestreuter Mobilitätsdienste (etwa von Softwareupdates der Hersteller bis zu Infotainmentangeboten). Der andere Aspekt ist eine direkte Kommunikation zwischen dem Fahrzeug in Echtzeit mit intelligenten Verkehrssystemen, welche Aspekte des autonomen Fahrens enthalten kann, etwa wenn aufgrund spezifischer Situationen die Kontrolle über das Fahrzeug übernommen werden kann. Dies alles wirft datenschutzrechtliche Probleme für das vernetzte Fahrzeug auf, die im nächsten Beitrag behandelt werden. Angesprochen werden hier Probleme der Mautkontrolle, Kennzeichen-Scanning, Dashcam-Überwachung insbesondere aus der Sicht der Verbraucherperspektive. Die beiden nächsten Beiträge beschäftigen sich mit dem Einsatz neutraler Server für die Speicherung der von dem Fahrzeug ausgehenden Daten. Der vorletzte Beitrag wirft die zentrale Frage nach dem Ende der Privatsphäre auf und zeigt konkret auf, welche Daten derzeit üblicherweise erhoben werden, wie sie genutzt werden und welche Risiken bestehen.

Am Ende steht eine Art Fallstudie zu einem Projekt, dass letztlich alle datenschutzrechtlichen Probleme in sich bündelt. Es geht um appgestützte „Smart Insurances“, bei denen der Versicherer jede Fahrt auswertet und bewertet, wie es etwa von der Generali – Gruppe angeboten wird. Dieses Modell wird im Detail vorgestellt und die Frage nach Sicherheitsoptimierung und Nutzerautonomie durch App aufgeworfen. Es liegt auf der Hand, dass dieses Modell sehr umstritten ist, aber auch dass es Unfälle vermeiden helfen könnte.

Wieder einmal gelingt es den „DatenDebatten“ ein hochaktuelles Thema in 12 interessanten Beiträgen aufzuarbeiten und der Diskussion entscheidende Impulse zu geben.

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