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Rezensionen juristischer Literatur

Zeugen in der Hauptverhandlung

Hans-Joachim Gerst (Hrsg.), Zeugen in der Hauptverhandlung, Erstauflage, ZAP, 2. Aufl., 2020

Eine Rezension zu:

Zeugen in der Hauptverhandlung

Hans – Joachim Gerst (Hrsg.)

Zeugen in der Hauptverhandlung

Vernehmungsrecht – Vernehmungslehre – Vernehmungstaktik

2., völlig neu bearbeitete Auflage

Bonn: ZAP – Verlag, 2020, 647 Seiten, geb., 94,00 Euro inkl. MwSt.

ISBN 978-3-89655-971-5

www.zap-verlag.de

Die Zeugenbefragung ist in sehr vielen Fällen der Dreh- und Angelpunkt der strafrechtlichen Hauptverhandlung. Im Zivilprozess und anderen Verfahrensarten sind Beweisaufnahmen mit Zeugen seltener, aber auch hier stellen sich Probleme einer maßgeschneiderten Vernehmungstechnik, wenn das richterliche Fragerecht erschöpft ist. Das vorliegende Werk – soweit ersichtlich ist es einzigartig in seinem Bereich – ist zwar auf den Strafprozess ausgerichtet, aber das hier vermittelte Praxiswissen lässt sich auch auf Beweisaufnahmen in anderen Prozessordnungen als der StPO – in Kenntnis der Besonderheiten – übertragen. Da es einen solchen Band zuvor nicht gab, war die erste Auflage sehr gut aufgenommen worden. Die Neuauflage ist völlig überarbeitet und erheblich erweitert. Sie berücksichtigt auch bisher nicht behandelte Themen.

Vernehmungstechnik wird auf der Universiät kaum geübt und im Referendariat meist nur gestreift. Die Verteidiger müssen sich dieses Know – How überwiegend selbst verschaffen, wobei “Versuch und Irrtum” ein mühseliges und riskantes Unterfangen darstellen können. Dieses Handbuch für die Praxis versucht dieses Defizit zu minimieren und gibt dem Rechtsanwender die Informationen an die Hand, die er benötigt, um Zeugen als Anwalt und Verteidiger sachgerecht zu vernehmen. Sich dabei auf das richterliche Fragerecht zu verlassen, ist oftmals nicht hinreichend und für den Mandanten gefährlich. Diese Gefahrenlagen werden in diesem Werk eingehend beschrieben. Das Werk richtet sich gleichermaßen an Einsteiger und erfahrene Praktiker.

Das in der zweiten Auflage noch überzeugendere Handbuch führt den Leser praxisnah zu den Kernfragen der taktisch und psychologisch geschickten Zeugenvernehmung. Das Werk besteht aus einem Praxisteil und einem Kommentarteil mit jeweiligen Querbezügen.

Der Teil 1 ist “Praxis der Zeugenvernehmung” betitelt und geht im ersten Abschnitt intensiv auf die psychologischen Aspekte der Zeugenvernehmung ein, um sodann die Funktionen der Zeugenvernehmung darzustellen, ausgehend von den drei Säulen der Vernehmungsvorbereitung, dem Vernehmungssetting und dem Vernehmungsziel mit den jeweiligen Gestaltungsmöglichkeiten, etwa bei der Fragestellung. Die Schwerpunkte werden dabei wie folgt gesetzt: 1. Vorbereitung der Vernehmung und Festlegung des Vernehmenssettings, 2. Ausarbeitung der Vernehmungsziele und der Grundriss des Befragungsgebäudes, 3. detaillierte Gestaltung des „Frage-Antwort-Szenarios”. Dazu erhält der Leser eine Vielzahl konkreter Arbeitshilfen und zahlreiche Beispiele für Vernehmungssituationen.

Da es sehr darauf ankommt, welche Art von Zeugen zu befragen sind, werden in den folgenden Abschnitten Differenzierungen zwischen der Vernehmung von Berufszeugen – insbesondere Polizeibeamten -, der Vernehmung von Zeugen als Nebenklägervertreter, die Vernehmung von Kindern und Jugendlichen und geheimen Ermittlern vorgenommen. Der Praxisteil wird abgeschlossen mit einer Darstellung zum anwaltlichen Beistand eines Zeugen.

Die Neuauflage berücksichtigt sämtliche Gesetzesänderungen seit dem Jahr 2016 und das waren nicht wenige, etwa betreffend die Änderungen der §§ 52, 53 und 53 a StPO. Rechtsprechung und Literatur sind mit Stand von Spätsommer 2016 ausgewertet. Aufgrund der Beteiligung neuer Autoren haben sich bei den einzelnen Kapiteln teilweise andere Vertiefungen ergeben, so wird etwa in dem Kapitel zur Revisibilität der Glaubhaftigkeitsbeurteilung jetzt noch detaillierter auf diese zentrale Materie eingegangen, etwa auf die teilweise widersprüchlichen Beweismaßtheorien des BGH. Nirgendwo ist Mißtrauen mehr angebracht als im Bereich der Glaubhaftigkeitsprüfung von Zeugenaussagen.

Die Ausführungen zu den einzelnen Zeugentypen zeigen, dass alle Facetten der Vernehmungstechniken für alle wichtigen Vernehmungssituationen bedacht sind.

Ergänzt wird der praktische Teil durch einen umfangreichen Kommentarteil, der sämtliche Normen der StPO erfasst, die sich mit Zeugen befassen und dabei die gesamte Meinungslandschaft kritisch aufarbeitet, ohne vor eigenen Vorschlägen und sehr deutlicher Kritik zurück zu schrecken. Die Querverbindungen zum Praxisteil werden ständig hergestellt. Auch dieser Teil ist deutlich erweitert worden.

Der Kommentarteil enthält überdies technisch-taktische Hinweise für typische Zeugenbefragungen, etwa bei Ehrschutzdelikten. Die Kommentierung bietet  alle wesentlichen Inhalte rund um die Zeugenbefragung:

  • Kommentierung der §§ 48 – 70, 85, 239 – 241 a, 242 – 248, 253 StPO
  • Zeugen und Aussagepsychologie, Taktik der Zeugenvernehmung
  • Zeugenbehandlung und Vernehmungstechniken
  • Spezielle wiederkehrende Konstellationen der Zeugenvernehmung
  • Der anwaltliche Beistand des Zeugen
  • Revisionsrechtliche Aspekte der Zeugenvernehmung.

Im letzten Abschnitt wird intensiv auf das “Zusammenspiel” zwischen richterlicher, staatsanwaltschaftlicher und anwaltlicher Zeugenbefragung unter Einschluss der Zurückweisung von Fragen durch das Gericht und die deutsche Form des “Kreuzverhörs” eingegangen, auch und gerade mit wichtigen Hinweisen für den Fall der Zurückweisung und die Berufung oder Revision.

Es ist ein deutlicher Vorteil dieses Werkes, dass es inbesondere im Praxisteil auf die reichhaltige anglo – amerikanische Literatur in diesem Bereich hinweist und deren Inhalte in die Darstellung einbezieht.

Das Werk schließt weiter eine deutliche Lücke in der deutschen Strafprozessliteratur und bietet die derzeit umfassende Darstellung der Vernehmung von Zeugen im Strafprozess aus der Sicht der Praxis und ist eine Fundgrube an Informationen, gerade für „kritische Situationen“.

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